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Sendung vom 12.01.2006
Warum psychiatrische Zwangsbehandlung Folter ist

Es soll um die Begründung dafür gehen, dass psychiatrische Zwangsbehandlung zurecht als Folter bezeichnet wird, weil sie Folter ist.

Entgegen der Erfahrung der Betroffnen am eigenen Körper, haben alle großen Menschenrechtsorganisationen sich bisher geweigert anzuerkennen, dass psychiatrische Zwangsbehandlung Folter ist.

Wir beginnen deshalb diese Sendung mit Fragen an Heiner Bielefeldt, den Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte. Danach vertiefen wir die Frage in einem Gespräch mit Prof. Wolf-Dieter Narr. In einem dritten Schritt stellen wir unsere Analyse in den Zusammenhang der aktuellen Diskussion über Folter.

01 Einführung 01:45 Audio Text
02 (Musik) Actions for Free Jazz Orchestra 02:04
03 Folterdefinition 01:04 Audio
04 (Musik) Threnos 03:13
05 Interview mit Dr. Heiner Bielefeldt 05:22 Audio Text
06 (Musik) Threnos 03:54
07 Gespräch mit Prof. Wolf-Dieter Narr 15:38 Audio Text
08 (Musik) Kontakte 06:15
09 Analyse I 02:11 Audio Text
10 (Musik) Threnos 01:40
11 Analyse II 01:58 Audio Text
12 (Musik) 9. Symphonie 11:36
13 (Musik) Silversand 02:23
Einführung
Autor: René Talbot
Länge 01:45
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Schon immer haben Menschen die Behandlung in der Zwangspsychiatrie als Entwürdigung und Entmenschlichung bezeichnet. Berichte der Betroffenen geben darüber Zeugnis. Heute werden vor allem psychiatrische Drogen zwangsweise gespritzt. Dies geschieht regelmäßig mit der Drohung, oder einer vollzogenen Fixierung. So schreibt die Irren-Offensive in ihrer Satzung :
Hiermit erklären wir als eine Art Folter: psychiatrische Verfolgung, willkürliche psychiatrische Einsperrung und körperlichen psychiatrischen Zwang zum Eindringen in den Körper - Behandlung mit Drogen, Elektroschock, Psychochirurgie, Fixierung u.a. Diese Maßnahmen wurden seit Bestehen der Zwangspsychiatrie immer und immer wieder von Menschen überall auf der Welt als Folter bezeichnet, unabhängig davon, ob jemand von medizinischem Personal als "geschäftsunfähig" bezeichnet wurde und der Ort dieser Maßnahmen eine "medizinische Einrichtung" namens "Krankenhaus" sein soll.

Entgegen dieser Erfahrung der Betroffnen am eigenen Körper, haben alle großen Menschenrechtsorganisationen sich bisher geweigert anzuerkennen, dass psychiatrische Zwangsbehandlung Folter ist.

Wir beginnen deshalb diese Sendung mit Fragen an Heiner Bielefeldt, den Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte. Danach vertiefen wir die Frage in einem Gespräch mit Prof. Wolf-Dieter Narr. In einem dritten Schritt stellen wir unsere Analyse in den Zusammenhang der aktuellen Diskussion über Folter. Heute spielen wir Musik der Avantgarde wir beginnen mit Krzysztof Penderecki.

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(Musik) Actions for Free Jazz Orchestra
Komposition: Krzysztof Penderecki
Länge 02:04
Musik zum Anhören auf der Website des Komponisten www.penderecki.de/_resources/57afe4562dc.mp3
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Folterdefinition
Länge 01:04

Um zu verstehen, was Heiner Bielefeldt in dem folgenden Interview mit den drei Kriterien für Folter meint, müssen wir kurz erklären, auf welche Definition er sich bezieht, nämlich die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen, die 1987 für die unterzeichnenden Staaten verbindlich in Kraft getreten ist. Zitat Artikel 1:

Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck "Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen, in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.

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(Musik) Threnos
Komposition: Krzysztof Penderecki
Länge 03:13
Den Opfern von Hiroshima für 52 Saiteninstrumente (1960)
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Interview mit Dr. Heiner Bielefeldt
Interview: Jan Groth und René Talbot
Länge 05:22
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Kurz zusammengefasst sind es also drei Kriterien, die vor dem Gesetz Folter definieren:
Erstens Handlungen die Schmerzen zufügen,
die zweitens von staatlichen Organen ausgeübt werden,
um damit drittens eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen.

Die ersten beiden Bedingungen sind bei der Zwangspsychiatrie zweifellos erfüllt. Ob auch die dritte Bedingung zutrifft, darum geht es in dem Interview mit Heiner Bielefeldt und in dem Gespräch, das ich mit Wolf-Dieter Narr geführt habe. Der folgende Ausschnitt ist Teil eines Gesprächs, das wir mit dem Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte am 3. November letzten Jahres geführt haben.

Mit Heiner Bielefeldt sprachen René Talbot und Jan Groth:

René Talbot:
In den USA haben der Präsident und das Verteidigungsministerium 2002 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass Folter in eine zulässige und eine unzulässige Form der Nötigung zu unterteilen versuchte. Interessant dabei ist, dass das zwangsweise Verabreichen von „mind altering drugs“ selbst bei diesem Versuch, bestimmte Formen der Folter zu legitimieren, regelmäßig als schwere Folter angesehen wird, also jenseits dessen, was man da noch machen könnte. Was sagen Sie dazu?

Heiner Bielefeldt:
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.

René Talbot:
Nochmals nachgefragt: Unter dem Prädikt, es gäbe Menschen und „Geisteskranke“, scheint „mind altering drugs“ eben doch zu gehen, aber das heißt doch, Menschenrechte sind teilbar.

Heiner Bielefeldt:
Also Ihr Punkt war: „mind altering drugs“ werden als schwere…

René Talbot:
… als schwere Folter verstanden, sozusagen der loseste Folterbegriff trifft für „mind altering drugs“ zu, aber nicht wenn sie angeblich „Geisteskranken“ aufgezwungen werden.

Heiner Bielefeldt:
Ich bleibe dabei: Bei der Defintion von Folter muß man alle drei Definitionsmerkmale im Blick behalten – da geht’s im Wesentlichen um die Zwecksetzung. Also bei den „mind altering drugs“, ich kenne mich in den Phänomenbereich nicht aus, will mich also hier nicht zu den praktischen Konsequenzen dessen äußern, was da mit „mind altering drugs“ passieren kann. Es sträuben sich einem ja die Nackenhaaren, wenn man das hört: „mind altering drugs“, aber das ist kein Bereich, in dem ich eine Expertise hätte – ich möchte das nicht weiter kommentieren. Es bleibt aber dabei, wesentliches Kriterium von Folter ist die „Fremdnützigkeit“, also die Verzweckung eines Menschen zugunsten Anderer, zugunsten von Einschüchterung, zugunsten von Aussagegewinnung – das ist wesentlich. Wenn ich jetzt sage „wir sind nicht im Bereich Folter“ per Definitionem, sondern in anderen Bereichen, dann heißt das nicht, dass man dem Ganzen einen menschenrechtlichen Segen geben würde.

René Talbot:
Dürfen dann andere noch etwas an der Tätigkeit in der Psychiatrie verdienen? Sie verdienen auf alle Fälle ihr Gehalt damit.

Heiner Bielefeldt:
Na ja, also da sehe ich im Moment keinen Zusammenhang. Also dass alle Tätigkeit…

René Talbot:
Fremdnützig ist es auf alle Fälle für den Arzt, der der Herrscher der Situation ist…

Heiner Bielefeldt:
Ach so!

René Talbot:
Er hat sein Haus voll, er kann es sozusagen beliebig voll machen, weil er Zwang anwenden kann.

Heiner Bielefeldt:
Ach so! Jetzt verstehe ich erst die Frage. Mit der Fremdnützigkeit ist Folgendes gemeint: Der Eingriff als solcher, ist im Falle der Folter die Instrumentalisierung des Menschen und zwar die ausschließliche, die völlige Verdinglichung des Menschen zu fremden Zwecken. Dass wir alle einander instrumentalisieren, insofern, als wir miteinander verkehren, um irgendwie auch Geld zu verdienen, ja - das ist einfach Bestandteil menschlichen Lebens. Es geht um die Total-Verdinglichung dadurch, dass jemand einer Situation unterworfen wird, wo sein Wille völlig zerstört wird, völlig gebrochen wird und zwar zu Zwecken anderer. Das ist sozusagen der Phänomenbereich, der Definitionskontext von Folter, das sind die Definitionsmerkmale der Folter, die Total-Verzwecklichung eines Menschen, der zugunsten Dritter ausgeliefert ist, was immer das im Einzelnen sein mag, und zwar so, dass es dem Staat direkt oder indirekt zugerechnet werden kann. Und die Psychiatrie ist nicht per Definitionem Folter, mit Sicherheit nicht.

Jan Groth:
Davon redet auch keiner.

Heiner Bielefeldt:
Auch die Zwangspsychiatrie wäre nicht per Definitionem Folter.

Jan Groth:
Das ist die Frage. Eben wahrscheinlich genau die, wie man diese Fremdnützigkeit nun definiert. Wir haben schon zwei Punkte angesprochen: ein Punkt wäre z. B. auch dass man die Menschen einer Ideologie opfert, nämlich der Ideologie der „psychischen Gesundheit“.

Heiner Bielefeldt:
Ja, das müsste man aber dann sehr genau zeigen…

Jan Groth:
Genau, und das wäre ein guter Grund, sich damit mal konkret zu befassen und das wird bisher nicht getan und für mich stellt es sich da schon eine große Frage: Wie so ein zentraler Bereich in der Gesellschaft, der…

René Talbot:
… mit hunderttausenden Opfern

Jan Groth:
… ein zentraler Bereich ist, dass der kein Thema ist?

Heiner Bielefeldt:
Na ja, es stimmt ja nicht so, dass er kein Thema wäre. Es stimmt sicher, dass er viel stärker thematisiert werden sollte, da stehe ich auf Ihrer Seite.

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(Musik) Threnos
Komposition: Krzysztof Penderecki
Länge 03:54
Den Opfern von Hiroshima für 52 Saiteninstrumente (1960)
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Gespräch mit Prof. Wolf-Dieter Narr
Länge 15:38
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Heiner Bielefeldt sieht also deswegen in psychiatrischer Zwangsbehandlung keine Folter, weil sie keine Informationen erpresse, die für den Folterer, in diesem Falle also die Ärzte, bzw. deren Auftraggeber einen Nutzen bringe. Er spricht von einer vollständigen "Vernutzung" des Gefolterten, und bewegt sich damit in einem Kantschen Koordinatensystem, in dem einem Menschen ein anderer Menschen nicht völlig zum Zweck werden darf.
Dass diese Argumentation gerade in der Frage, was ist Folter, daneben liegt, wird in dem folgenden Gespräch mit Wolf-Dieter Narr deutlich. Folgte man der Argumentation von Heiner Bielefeldt, wäre man dem legitimatorischen Vorwand derer, die foltern bzw. foltern lassen, schon auf den Leim gegangen, wenn sie behaupten, es ginge tatsächlich um die Beschaffung von Informationen, die notwendig seien um - zugestandenermaßen in einem Wertekonflikt - ein noch schlimmeres Übel zu verhindern. Folter ist anders zu charakterisieren, sagt Prof. Wolf-Dieter Narr, mit dem ich letzten Donnerstag dieses Gespräch führte:

René Talbot:
Heiner Bielefeldt hat bezogen auf die Diskussion gesagt: nein, es ist keine Folter und zwar ging es natürlich um den Folterbegriff, um dessen Definition und da meinte er, dass eine Information, eine Auskunft erpresst würde, dass dieser Punkt nicht erfüllt wäre. Auf Nachfragen meinte er, dass es auch jemanden nützen müsste. Darauf hatten wir gesagt: Na ja, es nützt auf alle Fälle dem Psychiater, weil er Geld damit verdient. Andererseits geht es in der Diskussion um das Geständnis "Krankheitseinsicht", dass das das Folterziel ist bzw. das Ziel der Maßnahme der Zwangsbehandlung ist, dass die Person einsieht, das sie krank sei, Krankheitseinsicht zeigt, und damit dann natürlich im nachhinein wieder das ganze Verfahren legimitiert ist, weil die Person ja eingesehen hat, dass sie krank sei und deswegen diese "Therapie", die angebl. "Therapie" damit gerechtfertigt sei.

Also reduzieret sich der Streit mit Bielefeldt - mal die ganzen anderen Definitionsfragen beiseite geschoben, eher könnte man diesen ja zustimmen - aber die Frage ist: Wird Information erpresst? Und jetzt ist die Frage für das Gespräch: Wie weit geht's weniger um Information - der Charakter der Information bei Folter ist eben nicht: Wieviel Autos fahren über die Golden Gate Bridge, das ist uninteressant - als es vielmehr um ein Geständnis geht. Der Kern der Folterfrage oder der Folterdefinitionsfrage ist eher eine Geständnisfrage, also ein Geständniszwang, der dabei entwickelt wird. Es soll etwas gestanden werden, was dann oft genug unter Folter falsch gestanden wird, was eine Verfehlung ist, ein geplantes Verbrechen, ein vorhergegangenes Verbrechen, zumindest etwas, das moralisch verwerflich ist. Es geht in der Folterfrage im Kern vielmehr um dieses Geständnis, als um allgemeine Informationen. Wenn es darum gehen sollte, wäre die Frage: Ist nicht genau dieses Bekenntnis krank zu sein, ist das nicht genau das Geständnis, um was es dann doch wieder geht und dass damit das, was Zwangsbehandlung ist, zumindest in ganz unmittelbarer Nähe zu Folter verortet werden muß.

Wolf-Dieter Nar:
Generell kann man nicht eine eindeutige Folterdefintion bringen - das ist Unsinn. Da unterscheide ich mich auch von Bielefeldt. In einem anderen Zusammenhang hat er von einem "absoluten Folterverbot" geredet. So bald das Wort "absolut" in irdischen Dingen aufkommt wird's immer falsch. Folter ist wie alle anderen irdischen Dinge eine relative Angelegenheit. Es heißt auch: es gibt verwässerte Formen, folterartigen Elemente, Elemente die zu Foltern zuführen, wenn sie auch nicht Folter im ganz emphatischen Sinne des Wortes sind.

R. T.:
Richtig! Aber mal unterstellt, wir akzeptieren die Begrifflichkeit, die in der UN-Konvention steht und auf die sich Bielefeldt und auch wir im Gespräch berufen haben und das ist nicht mal die Frage einer ganz anderen Definition, sondern nur die Frage: Geht es um die Erpressung von Information oder geht es nicht viel mehr um die Erpressung eines Geständnisses, also eines verwerflichen eigenen Handelns, eines verwerflichen eigenen Denkens, vor allem Dingen auch und viel mehr um dieses intrinsische, das Hineingehen in Deine eigenen Gedanken: du hast Dir falsche Gedanken gemacht, Du hast verwerfliche, böse, schlimme, verbrecherische Taten geplant. Damit ist insbesondere auch das in das Subjekt Hineingehen verbunden und das Subjekt völlig in Frage stellende oder verwerfen, das zum Objekt machende, was die Folter auch so schlimm macht.

W-D. Narr:
Ja, das ist zweifellos richtig, die objektivierende Funktion ist die Hauptsache, deswegen ist beim Versuch, ein Geständnis mit Zwang zu erreichen, der Zwang mindestens so wichtig, wie das Geständnis. Bei Informationen kommt es ganz offensichtlich in Abu Grahib oder sonst wo nicht auf die Frage an, ob die etwas sagen, was der CIA oder andere nicht wissen - das wissen die alles. So wie die Nazis die Leute gefoltert haben - berühmte Sache, über die uns der Jean Amery berichtet hat, der ja einen "wunderbaren" Essay darüber geschrieben hat - da geht's nicht darum, dass sie was von Jean Amery wissen wollen, was die Nazis nicht wußten, sondern sie wollen, in dem sie ihm etwas fragen und in dem sie etwas von ihm herausfinden wollen, durch die Art, wie sie dies herausfinden wollen, ihn zum puren Objekt, wenn man so will, zum "Muselman" machen, zum Fleisch, des sozusagen aus schier Erpresstem besteht, das gar nicht mehr anders kann, als dann zu sagen, "Ja, ich bin ein Mörder" oder "Ja, ich habe die Information X oder Y gegeben." Oder was auch immer. Das ist der Kern der Frage.

R.T.:
Ja, genau - das ist der Kern der Frage, denke ich auch. Und es ist viel wichtiger darin auch dieses völlig Entwürdigende zu sehen.

W-D. Narr:
Dass man so tut, als ob man ein Geständnis bräuche, dass man so tut, als ob man eine Information brauche, ist gleichsam nur der legitimitorische "Teppich", um den Zwang auszuüben. Man weiß ja auch generell, dass durch Folter erzwungene Aussagen, wenn man sie jetzt von dem Wahrheits- oder Richtigkeitsstandpunkt aus sieht, dass diese Fakten nichts bringen, überhaupt nichts bringen, weil selbstverständlich Du und ich und jeder einigermaßen nicht total durchgestählte Mensch, der jeden Schmerz erträgt, wir würden irgendwann alles zugeben.

R.T.:
Und vielleicht ist es sogar der einzig rationale Strategie gegenüber der Foltere- man sagt sofort: "Ich sage alles, was sie hören wollen!"

W-D. Narr:
Wenn Du das getan hast, wirst Du nie mehr in Deinem Leben darüber hinwegkommen. Das ist generell, bei vielen brutalen Formen von Gewalt das Schlimmste ist ja nicht die Gewalt, die Du sozusagen körperlich erleidest und die im Grunde mit dem Körper ausheilt, das ist immer möglich. Was nicht ausheilt, ist diese schier, totale Unterwerfung, dass Du eben nur noch Objekt bist und Subjekt allenfalls dort noch dabei ist, wo es sich erniedrigen läßt.

R.T.:
Ja, das vernichtete Subjekt, das ist das Ziel.

W-D. Narr:
Ja, aber wobei es insofern nicht völlig vernichtet ist, als es eine Erinnerung hat und deswegen wieder ein Stück aufstehen kann - deswegen ein Trauma haben kann. Anders würde ja kein Trauma entstehen. Wenn es völlig weg wäre, dann käme der Effekt nicht zustande. Dieser Effekt bleibt schon. Du wirst dadurch zu einem Subjekt in diesem doppelten Sinne, wie es das lateinische Wort ja hat: "Subjekt" heißt: das "Unterworfene" und gleichsam das extatische Individuum und Du wirst sozusagen ganz unterworfen und das Stückchen Individuum, was bleibt, die Person, die ganz dämmerich bleibt, ist das, was dann das Trauma erfährt und ein Leben lang nicht darüber hinwegkommt.

R.T.:
Wir nennen es ja in ein einem anderen Begriff auch "das kolonialisierte Subjekt". Das ist eigentlich sogar noch mehr das Ziel, als der Vernichtung des Subjekts, weil das durch die Tötung...

W-D. Narr:
"Vernichtung" ist falsch, weil es bleibt ja. Wenn es völlig vernichtet wäre, wäre dann höchstens noch Fleisch übrig.

R.T.:
Der Sieg wäre ein kleinerer. Es geht tatsächlich mehr um die Kolonialisierung des Subjekts, sein Wille soll ganz der des Unterwerfenden sein und in dem Sinne ist dann das gelungene Folteropfer das, was "Compliance" mit dem Täter zeigt. In dem Sinne, denke ich, ist Psychiatrie dann wirklich die verfeinerte Foltertechnik, weil genau das "Compliance" Ziel zu erreichen, das passiert in der Psychiatrie in den absurdesten Formen. Da wird z. B. gesagt - mir persönlich ist das mal passiert - ich hätte eine gute Fassade. "Eine gut Fassade" heißt: Der Psychiater weiß, "Sie tun nur so, als wären Sie normal, tatsächlich sind Sie verrückt, tatsächlich sind Sie schwer krank". Das ist eine absurde Form, wie wir das umgekehrte auch in der Psychiatrie kennen - wir haben auch diese Erfahrung gemacht - es gibt die "vorgetäuschte Krankheitseinsicht". Jemand in der Forensik wird maltraitiert bis zum geht nicht mehr: Er sagt: "Ich bin krank!", "Nein, das glauben wir Ihnen nicht, wir wissen besser über Sie Bescheid, dass Sie nicht tatsächlich krankheitseinsichtig sind". Das sind alles Formen, in denen es nur um die völlige Unterwerfung, die Kolonialisierung des Subjekts, geht, nicht so, wie Du richtig sagst "die Vernichtung" - die Vernichtung würde sich durch den Totschlag erfüllen - aber es geht darum, den Willen völlig zu unterwerfen und zu brechen.

W-D. Narr:
Ja und es zeigt sich wiederum, dass das, was Folter ist, auf eine Gleitschiene ist. Die Unterwerfung ist als Gefahr in allen sog. helfenden Berufen drin. Es fängt mit der Lehre an, dass du Dich an der Stelle des Studenten setzt, den Du lehrst - Du tust, als ob Du an seiner Stelle wärst. Du holst nicht aus ihm sokratisch heraus, was in ihm steckt und verbessert es - das wäre der richtige Lehre - sondern Du setzt Dich an die Stelle dessen. Das, was in der Psychiatrie geschieht, ist ein totalisierender Ersatz - Du weißt, das was richtig, was "gesund" ist: "ABC". Der will aber "D" haben, also ist er krank. Also muß er auf "ABC" kommen und im Grunde, da Du ja als Psychiater annimmst, dass Du Recht hast, setzt Du Dich an die Stelle dieses Wesens und mußt also dieses Subjekt mit seinem "D", überzeugen, dass es akzeptiert, was Du für ihn oder sie denkst.

R.T.:
Überzeugung ist das ja nicht - das ist gerade der Punkt.

W-D. Narr:
Nein, nein - Überzeugung ist falsch.

R.T.:
Überzeugung wäre eine angenehme Pädagogik, vielleicht sogar ein weisse Pädagogik. Aber das ist ja dann der Punkt, dass in der Psychiatrie mit der Drohkulisse oder mit dem Zwang direkt...

W-D. Narr:
Das was man in der Werbung: "The hidden persuaders" nennt - sozusagen die verborgenen überreder,. Da sind es aber nicht die verborgenen überreder, sondern da ist es mit Zwangselementen ganz massiv verbunden. Denn, willst Du nicht mein Bruder sein bzw. willst Du sozusagen nicht Deine Krankheit oder Gesundheit anerkennen, dann kommst Du in den Zwang.

R.T.:
Und die Geschlossene plus die Fixierung plus ...

W-D. Narr:
Richtig, das ist ja der Punkt. Wenn Exit möglich wäre. Sobald jeder Patient ein Gespräch mit dem Psychiater führt und der sagt ihm: "X oder Y" und er sagt: "Ja, das ist recht, was Sie da sagen", nimmt seine Kappe und haut ab, dann ist das eine ganz veränderte Situation.

R.T.:
...eine völlig veränderte Situation - das ist das Wesentliche, deshalb ist jemand, der in ein Sado-Maso-Spiel einwilligt, selbstverständlich in einer ganz anderen Situation auch wenn das normalerweise als Tortur gesehen würde: Kopf unter Wasser halten oder was weiß ich, was es da für Spiele gibt, Gewichte an den Nippeln hängen, Tot und Teufel tun sich die Leute da ja an.

W-D. Narr:
Wobei, selbst da gibt es Grenzen. Auch wenn es eine ganze Fülle von Leuten gibt, die sich danach drängen, ihre Selbstbestimmung aufzugeben und andere für sie handeln zu lassen, da stimmt irgendwas nicht, weil wir geradezu anthropologisch vermuten können, dass alle Menschen ein Stück sich selbst bestimmen wollen. Sowie Kinder selber gehen wollen,

R.T.:
Das ist der Punkt, dass es einen Exitknopf gibt, es muß immer die Möglichkeit geben auszusteigen.

W-D. Narr:
Ja, Du könntest Dir aber ein System des Zwangs vorstellen, das so perfekt ist, so vom Prinzip her ohne Exitmöglichkeiten und so früh ansetzt, dass die Leute gar nicht in der Lage sind, zu einem eigenen Selbst zu kommen und sich früh aufgeben. Wenn wir da als Analytiker darangehen würden wir uns nicht an den Kopf schlagen und denken: das ist Recht, wenn sie im Gefängnis leben wollen, dann wird es ja ihnen eine Lust sein. Dann nehmen wir natürlich unsererseits an, nein, das ist ja wohl nicht ganz so lustig. Wir zwingen sie zwar nicht, aus dem Zwang rauszugehen, aber wir analysieren sehr wohl freiwilligen Zwang als etwas, wo die Freiwilligkeit sehr schnell in Frage steht.

R.T.:
Ja klar. Insbesondere wenn es kindlich anfängt und da ist die Psychiatrie wieder auf dem aller schlimmst denkbaren Weg: In Amerika soll zwangsdiagnostiziert werden - alle Jugendlichen, so wie früher bei uns die Untersuchung auf Tuberkulose bei uns eine Pflicht war - so soll es in Amerika Pflicht werden. Ja das geht bis hin zu pränatale Diagnostik, wo die meinen da mit irgendwelcher angebl. psychiatrischen Genetik was machen zu können. Von vornherein, schon in frühster Jugend soll damit - bald schon ab ungeborenen Leben - ein System aufgeproppft werden, was sich damit hermetisch machen will.

W-D. Narr:
In einer Situation, wo der Weg in die medikalisierte Gesellschaft führt und wo Du eine präskriptive Medizin hast, da liegt es nahe, dass Du die legitimierst, in dem Sinne, dass Du weißt, was ein Genom ist. Du weißt auch im Grunde, wo eigentlich die Probleme liegen. Wenn Du gleichzeitig diese Entwicklung hast in einer Situation der A-Gesellschaftlichkeit, die Nicht-Gesellschaftlichkeit zunimmt, weil es keine sozialen Beziehungen in den meisten sozialen Räumen mehr gibt, weil die Leute ja nicht mitbestimmen, also sozusagen Banlieue im Extreme - da braucht es dann Überlegungen: Wie kommst Du denn mit abweichendem Verhalten klar, wenn dieses abweichende Verhalten irgendwie "gefährlich" wird, den normalen Weg stört. Und dann ist es natürlich wunderbar, wenn Du da eine "Fürsorge" hast, die Du gar medizinisch begründen kannst. Du kannst dann abweichendes Verhalten "therapieren", das ist doch dann doch "the best of all solutions".

R.T.:
Das hat Michel Foucault doch sehr früh ganz richtig erkannt.

W-D. Narr:
Ja klar, weil es längst nicht mehr darum geht im Sinne von "Hals ab" oder harten Strafen äußerlicher Art, dazu ist das Problem viel zu groß und auch zu komplex, sondern Du kannst es in der Tat sozusagen verwissenschaftlichen...

R.T.:
...scheinbar, scheinbar...

W-D. Narr:
... auch Gott - die Wissenschaft ist so eine Hure, von Anfang an. Man muß im Grunde bei Wissenschaft genauso, wie bei Demokratie oder sonst was, immer dazu sagen, was Du eigentlich darunter verstehst - das gilt bei Menschenrechte auch schon. Was da gelogen wird, ist ja unglaublich.

R.T.:
Und vor allem, was später angehangen wird - unsere Drama ist ja, dass wir sagen, wir berufen uns auf die Menschenrechtserklärung von 1948, aber später sind alle möglichen Erklärungen über "Geisteskranken" als Untermenschen gemacht worden bis nochmal zur Definition von 1992. Damit wird die Unteilbarkeit von Menchenrechten eben genau nicht mehr ernst genommen, obwohl das Nicht-Erwähnen von "Geisteskrankheit" in der UN-Menschenrechtserklärung natürlich genau die Garantie dafür ist, dass es Menschenrecht für alle gibt, dass sie unteilbar sind, dadurch dass es eben gerade keine Spezifikation für den angebl. "Geisteskranken" gibt. Das wurde nach 1948 gemacht und damit die Menschenrechte verwässert oder wie du gesagt hast, zur "Hure" gemacht.

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(Musik) Kontakte
Komposition: Karlheinz Stockhausen
Länge 06:15
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Analyse I
Länge 02:11
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Dass bei Folterungen die angebl. "Informationsgewinnung" nur eine vorgeschobene Rationalisierung ist, tatsächlich es jedoch um die Vernichtung, bzw. moderner, um die Kolonialisierung, des Subjekts mit Zwang und Gewalt geht, mit dieser Meinung ist Wolf-Dieter Narr nicht allein.
In einem exzellenten Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 4. Januar erklärt der Autor Alfred Mc Coy "Die Logik der Folter". Den Vorwand angeblicher Informationsgewinnung überführt er mit einem schlagenden Beispiel der Lüge:

Während des gesamten Krieges gegen den Terror hat das FBI an seiner bewährten Methode vorschriftsmäßiger Vernehmungen festgehalten, die der kritischen Prüfung durch ein öffentliches Gerichtsverfahren standhalten können. In den Jahren vor dem 11. September führte die Bundespolizei sorgfältige Ermittlungen zu den Bombenanschlägen auf die Botschaften in Kenia und Tansania durch, baute in seinen nicht durch Zwang geprägten Verhören eine Beziehung zu den Verdächtigen auf, erhielt bis Mai 2001 genaue Informationen über Al Qaeda und erreichte die Verurteilung von vier Terroristen, die sich tatsächlich schuldig bekannten. Ein FBI Beamter, der an diesem Fall mitarbeitete, Dan Colemann, war entsetzt über die Zwangsmittel, die die Juristen der Regierung Bush der CIA nach dem 11. September genehmigten. "Haben diese Burschen je versucht, mit jemanden zu reden, dem man seine Kleider weggenommen hat?", fragt er und gab gleich selbst die Antwort, "er schämt sich, ist gedemütigt und friert. Er wird dir alles sagen , was du von ihm hören willst, nur um seine Kleider wieder zu bekommen. Das hat keinen Wert… Brutalität funktioniert nicht. Das wissen wir. Außerdem verlierst du dabei deine Seele."

Er zitiert den Rechtshistoriker John Langbein von der Yale University: "Die wichtigste Lektion der Geschichte ist, dass es nie möglich war, Zwang und Wahrheit vereinbar zu machen."

Wenn der Vorwand Informationsgewinnung also eine Lüge ist, dann steht bei Folter offensichtlich im Mittelpunkt, dass es eine Terror Technik des Geständniszwangs ist . Damit bildet die psychiatrische Terror Technik des Gefügig-Machens mit der Drogenkeule, um mit medizinischen Voodoo und blanker Gewalt das Subjekt zu kolonialisieren, das Zentrum moderner Folter.

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(Musik) Threnos
Komposition: Krzysztof Penderecki
Länge 01:40
Den Opfern von Hiroshima für 52 Saiteninstrumente (1960)
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Analyse II
Länge 01:58
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Eine Lektion kann man aus den aufgedeckten Folterungen der CIA lernen: die aktuellen Lügenkonstrukte der Psychiater, sog. Hirnscans, also mit technischen Hilfsmitteln hergestellte Bilder von irgendwelchen Durchblutungszuständen oder Elektrisch bzw. magnetisch erregten Zonen im Gehirn, können nichts, aber auch gar nichts, über Geisteszustände und Gedanken aussagen.

Niemand kann Gedanken lesen.

Denn wenn man unterstellt, dass es neben dem Hauptinteresse durch Terrorisieren zu Kolonialisieren, auch ein Interesse an Informationsgewinnung gab, so ist doch auffällig, dass trotz aller Möglichkeiten, die dem CIA zur Verfügung stehen, nicht ein einziges mal von irgendwelchen Hirnscans berichtet wird.
Warum wohl? Weil es diese in den Verhören nie gegeben hat, denn sie sind nur Mystifikationsverfahren der Psychiater und Neurologen, um das Publikum für dumm zu verkaufen. Das genauso lächerliche ältere Verfahren, der so genannte Rorschach Test, in dem mit symmetrischen Kleksbildern angebl. Geisteszustände erforscht wurden, ist inzwischen aus der Mode gekommen. Weil diesmal doch so ganz teure Maschinen dabei beteiligt wären, soll das Publikum, für das diese Bilder regelmäßig veröffentlicht werden, endlich diesen Unsinn glauben. Wer diesem wissenschaftlichen Müll auf dem Leim geht, macht sich mitschuldig, dass dafür auch noch Steuergelder versenkt werden.

Diese Hirnscanbilder unterliegen dem gleichen Kategorien Fehler, wie wenn man durch Oszillographen-Bilder von einem während der Tagesschau eingeschalteten Fernseher verstehen wollte, was es bedeutet, wenn in der Tagesschau von einem Erdbeben berichtet wird, das einen Tsunamie ausgelöst hat.

Zum Abschluss spielen wir in Erinnerung an Alex aus dem Film "Clockwork Orange" von Stanley Kubrick die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Da der Film so bekannt ist, erübrigen sich weitere Erklärungen.

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(Musik) 9. Symphonie
Komposition: Ludwig van Beethoven
Länge 11:36
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(Musik) Silversand
Komposition: Michael Rother
Länge 02:23
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