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Sendung vom 09.02.2006
Die Diskussion um die Patientenverfügung

Die "Fronten" klären sich: Die Enquetekommission des letzten Bundestages hat sich mit ihrer Forderung nach der Begrenzung von Patientenverfügungen auf die Sterbephase völlig isoliert! Ganz wichtig für uns: Alle anderen Entwürfe verwerfen eine entsprechend willkürliche Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts. Wir stellen im Dissidentenfunk die verschiedenen Entwürfe, deren Begründungen und die aktuelle Diskussion anhand von O-Tönen von Klaus Kutzer, Vorsitzender der interdisziplinären Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz "Patientenautonomie am Lebensende", und von Kristiane Weber-Hassemer, der Vorsitzenden des Nationalen Ethikrates, dar.
01 Einführung 01:42 Audio Text
02 Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens 02:48 Audio Text
03 Rede Klaus Kutzer 22:58 Audio Text
04 Musik 02:17
05 Rede Kristiane Weber-Hassemer 16:22 Audio Text
06 Bonmot von Prof. Klaus Dörner 00:58 Audio Text
Einführung
Autor: Rene Talbot
Länge 01:42
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Die Dissidentenfunk hat heute zum Thema die Diskussion um die Patientenverfügung.

Seit Thomas Szasz 1981 mit dem Vorschlag eines sog. psychiatrischen Testaments als individuellem Weg aus der psychiatrischen Folter an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat sich zweierlei herausgestellt:
- einerseits wurde diese Form einer Patientenverfügung nirgends rechtlich verbindlich von den Vormundschaftsgerichten anerkannt, da sie sich auf keinen Gesetzestext direkt berufen konnte.
- Andererseits wurde der Ruf nach der rechtlich verbindlichen Anerkennung einer Patientenverfügung immer lauter, weil durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin sich zunehmend Leute bedroht fühlten, sodaß sie ärztliche Maßnahmen am Lebensende Einhalt gebieten wollten. Die dazu verfassten Verfügungen konnten wiederum aus demselben Grund von Vormundschaftsgerichten willkürlich ausgelegt werden.

Durch das Urteil des Foucault Tribunals 1998 und des Russell Tribunals 2001 sowie in Folge der von uns seit 1999 genutzten Vorsorgevollmacht, kam die Diskussion in Bewegung. Die Allmachtsansprüche der Ärzte werden zunehmend in Frage gestellt, weil die Funktion der Weißkittel als Scharfrichter der Vernunft gesellschaftlich immer lächerlicher wird. Das eigene Wohl wird subjektiv bestimmt und so soll es auch in schwieriger Lage bleiben.

Diese Erkenntnis reifte auch beim Bundesgerichtshof. Im Jahr 2003 hat er die rechtliche Verbindlichkeit einer Patientenverfügung zumindest in einem unumkehrbaren Sterbeprozeß für wirksam erklärt.

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Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Rede: Klaus Kutzer
Länge 02:48
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Die Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung wurde durch einen Gesetzentwurf der Justizministerin Zypries in die parlamentarische Umlaufbahn gebracht. Der Gesetzentwurf beruhte auf der Stellungnahme einer dafür ins Leben gerufenen Kommission, die der Richter Kutzer leitete. Klaus Kutzer ist pensionierter Vorsitzender einer Zivilkammer des Bundesgerichtshofs. Am 21. Januar konnte der Dissidentenfunk bei einer Veranstaltung des Hygiene Museums in Dresden die folgenden Redebeiträge von Herrn Kutzer mitschneiden. Herr Kutzer erklärt zunächst den augenblicklichen Stand des Gesetzgebungsverfahrens:

Klaus Kutzer:
Das Ministerium hat auf der Grundlage unseres Berichts fast zu 90% übereinstimmend – wenn ich das mal so einschätzen darf – einen eigenen Gesetzentwurf erstellt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht, wie es fälschlich heißt, von der Bundesjustizministerin zurückgezogen worden, sondern man ist zu dem Ergebnis gekommen, daß bei diesen Fragen nicht die Regierung das erste und das maßgebende Wort haben soll, sondern das Parlament. Deswegen hat fast unverändert – nur in 2 Punkten verändert – der rechtspolitische Fraktionsprecher der SPD einen Gesetzentwurf vorgelegt, der de fakto identisch ist mit dem von der Bundesjustizministerin zur Diskussion gestellten und über den sollte dann beraten werden, in der Annahme – in der sicheren Annahme – das auch Gegenentwürfe kommen, die dann in den Ausschußberatung, wie das so üblich ist, auf eine gemeinsame Linie zurückgeführt werden sollten.

Dabei war – so weit ich das sehe – Konsens zwischen allen Parteien, dass diese Fragen nicht nach Fraktionen und nach Fraktionszwang entschieden werden können, sondern nach der Überzeugung – der persönlichen Überzeugung – des jeweiligen Abgeordneten. Und im Koalitionsvertrag vom November zwischen SPD, CDU und CSU steht sinngemäß, die Diskussion über die Patientenverfügung soll in der neuen Legislaturperiode fortgesetzt und abgeschlossen werden. Aus den Worten „und abgeschlossen werden“ entnehme ich, dass jetzt wohl wieder aus dem Bundestag heraus und nicht mehr von Seiten der Regierung initiiert ein Entwurf kommen wird, vielleicht – wie man hört – sogar ein gemeinsamer Entwurf der Koalitionsfraktionen. Was daraus wird, das wissen wir, das kann niemand voraussagen.

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Rede Klaus Kutzer
Rede: Klaus Kutzer
Länge 22:58
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In der folgenden leicht gekürzten Rede von Herrn Kutzer begründet und erklärt er den Gesetzentwurf von Jusitzministerin Zypries:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nur eins möchte ich vorweg sagen: Eine staatliche Kommission in unserer pluralen Demokratie kann nicht eine bestimmte Weltanschauung zum Grundsatz machen, sondern muss den verschiedenen Meinungen, den verschiedenen Gruppierungen in unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Sie darf also nur einen äußersten Rahmen setzen, um nicht dazu beizutragen, dass eine gesellschaftliche Gruppe die andere majorisiert.

Deswegen hatte die Ministerin auch versucht, die Mitglieder unserer Kommission aus möglichst vielen Gruppierungen zusammenzusetzen, die mit Patientenverfügungen, die mit der Sorge am Lebensende zu tun haben und vielleicht ist es ganz nützlich, wenn ich einmal die Vertreter nicht namentlich nenne, sondern nach ihrer Verbandszugehörigkeit bezeichne: das waren Vertreter des Bundesverbands Verbraucherzentralen, des Gesamtverbands des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospitz – diese ist zu unterscheiden von der Deutschen Hospitzstiftung, die ja nachher hier zu Wort kommen wird, die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospitz ist auf Bundesebene die Vereinigung der aktiv tätigen Hospitzvereine - des Humanistischen Verbands Deutschlands, des Vormundschaftsgerichtstags, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Sekretariats der Deutschen Bischofs Konferenz, der Bundesärztekammer, der Konferenz der Justizminister und Gesundheitsminister der Länder. Die hatten jeweils ein Vertreter in unsere Gruppe geschickt und 3 Personen waren allein auf Grund ihrer Sachkunde Mitglied: die sehr bekannten palliative Mediziner Prof. Brasio von der Universität München und Prof. Dr. Müller-Busch von der Humboldt Universität Berlin, damals noch Universität Witten-Herdecke, sowie Dr. Mai vom Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr Universität Bochum.

Ziel der Beratungen unserer – wie Sie gesehen haben – aus verschiedensten Gruppierungen zusammengesetzten Kommissionen war es, Fragen der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zu diskutieren und Konzepte für die Abfassung einer Patientenverfügung zu erarbeiten, sowie zu prüfen, ob Gesetzesänderungen erforderlich sind und ggfs. hierfür Vorschläge zu unterbreiten.

Die Arbeitsgruppe hat ungeachtet der in Einzelfragen durchaus kontroversen Auffassungen ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielen können. Knappe Mehrheitsentscheidungen habe ich nicht zugelassen, denn in diesen ethisch-relevanten und existiellen Fragen wollten wir keine Vorschläge unterbreiten, die mit knapper Mehrheit beschlossen worden sind. Zeigte sich in der Diskussion, dass für eine Frage allenfalls ein knappe Mehrheit zu erzielen ist oder eine knappe Ablehnung, haben wir den Punkt fallen lassen.

Jedem Mitglied stand es frei, bei unserem schriftlichen Bericht, in Fußnoten seine abweichende Auffassung kurz zu skizzieren, sodass man auch nachlesen kann, wer in bestimmten Fragen seine Zustimmung nicht geben konnte.

Grundlegend für die von uns entwickelten Thesen und Empfehlungen war die gemeinsame Überzeugung, dass das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper zum Kernbereich der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Menschen gehört. Es bewahrt den Patienten gerade in Grenzsituationen seines Lebens vor Fremdbestimmung. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes hat jederman das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht gibt auch dem tödlich erkrankten Bürger die Befugnis, sich gegen von ihn nicht gewollte ärztliche Eingriffe in seine körperliche Integrität zu wehren. Aus diesem Abwehrrecht kann jedoch auch auf eine allgemeine Verpflichtung des Staates zum Schutze des Lebens seiner Bürger geschlossen werden. Ob dieser staatliche Schutz so weit geht, dass der Staat den Bürger mit Zwang davon abhalten darf, sein eigenes Leben zu gefährden, ist jedenfalls für die Fälle sehr zweifelhaft, in denen der Bürger aufgrund einer frei verantwortlichen Entscheidung sein Leben aufs Spiel setzt und durch seine Entscheidung nur er und nicht auch allgemeine öffentliche Interessen berührt sind.

Es entspricht der auf die Garantie von Freiheitsrechten des Bürgers hin ausgerichteten Konzeption unserer Verfassung, den grundrechtlichen Anspruch des Kranken auf Selbstbestimmung höher zu bewerten, als eine Befugnis des Staates, ihn zu seinem angebl. eigenen Schutz einer Fremdbestimmung durch den Arzt, ein Gericht oder einen amtlich bestellten Betreuer zu unterwerfen.

Ein Patient kann sein Selbstbestimmungsrecht nur ausüben, wenn ihm die medizinischen Optionen für seinen Fall bekannt sind und er in der Lage ist, die sich daraus ergebenden Vor- und Nachteile sachgerecht abzuwägen. Eine Einwilligung in ein ärztlichen Eingriff z. B. in die künstliche Ernährung per Magensonde, in die künstliche Beatmung, ist daher nur wirksam, wenn der Patient über die medizinische Bedeutung und Tragweite der geplanten Maßnahmen, die alternative Behandlungsmöglichkeiten und die Konsequenzen eines etwaigen Verzichts ärztlich aufgeklärt worden ist. Einer ärztlichen Aufklärung bedarf es im Sinne unserer freiheitlichen Verfassung allerdings dann nicht, wenn der einwilligungsfähige Patient darauf verzichtet hat.

Der Patient darf die Einwilligung auch dann rechtlich verweigern, wenn die ihm angebotene medizinische Maßnahme der Lebenserhaltung dient und seine Entscheidung aus ärztlicher Sicht unvernünftig ist.

In einer ärztlichen Patientenverfügung enthaltene Willensbekundung zur ärztlichen Maßnahmen, die auf die spätere Entscheidungssituation zutrifft, soll nach Auffassung unserer Arbeitsgruppe entsprechend dem Beschluss des BGHs vom 17. März 2003 fort gelten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient sie widerrufen hat oder sie zum Behandlungszeitpunkt nicht mehr gelten lassen will. Also eine früher, im einwilligungsfähigen Zustand abgegebene Erklärung soll nach unserer Ansicht ihre Gültigkeit behalten, bis konkrete Anhaltspunkte vorgebracht werden, dass der Patient seinen Willen geändert hat.

Solche konkrete Anhaltspunkte können insbesondere Äußerungen oder auch ein Verhalten des Kranken – eine non-verbale Äußerung – also ein Verhalten des Kranken sein, aus denen auf einen veränderten Patientenwillen geschlossen werden kann.

Wir haben wortlich ausgeführt Situationsbezogenheit und Eindeutigkeit der Willensbekündung müssen, insbesondere dann außer Zweifel stehen, wenn medizinisch indizierte Maßnahmen darin untersagt werden. Deshalb wäre beispielsweise eine in jungen Jahren in einer Patientenverfügung abgegebene allgemeine Erklärung, nicht mehr leben zu wollen, wenn eine Fortbewegung nur in einem Rollstuhl möglich wäre, keine ausreichende Grundlage dafür, dem nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten später nach einem Unfall mit Querschnittslähmung die lebensrettende Behandlung zu verweigern.

Wir halten Patientenverfügungen für formlos wirksam. Insbesondere hat unsere Arbeitsgruppe es abgelehnt, nur schriftliche Patientenverfügungen anzuerkennen. Ist eine mündliche Vorausverfügung des jetzt einwilligungsunfähigen Patienten nicht beweisbar, so ist sie unbeachtlich. Ist sie nicht eindeutig oder nicht konkret genug, kommt ihr bei der Ermittlung des aktuellen Willens lediglich die Bedeutung eines Indizes zu. Ist eine fortwirkende frühere Willensbekündung des nunmehr einwilligungsunfähigen Patienten nicht bekannt oder nicht eindeutig, beurteilt sich die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung, falls unaufschiebbar nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, bis entweder eine frühere fortwirkende Willensbekündung vorgelegt wird oder für den Patienten, dessen Vertreter – das ist der Gesundheitsbevollmächtigte, den sie ja selbst bestellen können oder der Betreuer entscheidet. Der Betreuer ist der vom Vormundschaftsgericht bestellte gesetzliche Vertreter.

Wir sagen: für die Annahme eines bestimmten mutmaßlichen Willens, bedarf es individueller, aussagekräftige Indizien, nicht die allgemeine Überzeugung, der wird wohl in diesem Falle das und das gemeint haben, sondern es bedarf individueller, d.h. auf die Person des Kranken bezogene von ihm stammende aussagekräftiger Indizien. Ist ein solcher behandlungsbezogener mutmaßlicher Patientwillen nicht feststellbar, was ja sehr oft der Fall sein wird, so entscheiden nach dem Willen unserer Kommission der Patientenvertreter und der Arzt gemäß dem Wohl des Patienten. Hierbei ist dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen, wie die Arbeitsgruppe ausdrücklich hervorhebt.

Die Arbeitsgruppe hat sich die, in die vom 12. Zivilsenat des BGHs in dessen Beschluss vom 17. März 2003 vertretene Auffassung gewandt, dass für das Verlangen des Betreuers eine medizinische Behandlung einzustellen, rechtlich kein Raum sei, wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen habe und durch die abgelehnte Maßnahme das Leben des Betroffenen verlängert oder erhalten würde.

Die Befugnis des Vertreters zur Einwilligung oder Ablehnung soll unseres Erachtens vielmehr soweit reichen, wie die des vertretenen Patienten. Das ist keine logische Folgerung - da gebe ich die Enquetekommission ohne Weiteres recht - das ist eine Frage der Entscheidung auch letztlich der politischen Entscheidung. Wir haben uns darauf geeinigt, die Position zu vertreten, dass in Prinzip das Recht des Vertreters des Kranken, also der von ihm ausgewählten Vertrauensperson über bestimmte ärztliche Maßnahmen so weit rechtlich zulässig und beachtlich ist, wie wenn der Betroffene es noch selbst geäußert hätte.

Es ist Ausfluss seines verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts, eine solche Entscheidung auch im voraus für den Fall seiner Entscheidungsunfähigkeit treffen und von seinem Vertreter die Durchsetzung seines Willens erwarten zu können. Diese Argumente gelten erst recht gegenüber der Ansicht der Enquetekommission „Ethik und Recht“ über eine noch strengere Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen.

Ausdrücklich konnte sich unsere Arbeitsgruppe damit nicht auseinandersetzen, weil der Bericht der Enquetekommission erst nach Abschluss unserer Sitzungen veröffentlicht worden ist. Sie haben es hier schon gehört, aber ich darf es vielleicht nochmal kurz zusammenfassen: Die Enquetekommission schlägt vor, Patientenverfügungen mit dem Wunsch nach Abbruch bestimmter lebenserhaltender Maßnahmen bei bestimmten Voraussetzungen nur dann anzuerkennen, wenn das Grundleiden irreversibel ist – das hat ja auch das BGH gesagt - und jetzt kommt das Besondere: „und trotz medizinische Behandlung nach ärztliche Erkenntnis zum Tode führen wird“. Durch das Merkmal „trotz medizinische Behandlung“ werden die Begrenzungen des antizipierten Selbstbestimmungsrechts noch weiter verschärft und führen zum Zwang, medizinische Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

So steht in dem Bericht der Enquetekommission wortwörtlich: „Krankheitszustände, wie Wachkoma und Demenz, die als solche keine irreversiblen, tödlichen Grundleiden darstellen, wenn nicht zusätzliche schwere unheilbare Erkrankungen auftreten, erlauben danach keine Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, auch wenn dies in einer Patientenverfügung gewünscht wurde.

Eine solch rigorose Auffassung, die bestimmte Erkrankungen generell vom antizipierbaren Selbstbestimmungsrecht ausschließt, erscheint mir weder medizin-ethisch noch verfassungsrechtlich tragbar. Sie ist auch nicht mit der Rechtsprechung des BGHs in Einklang zu bringen. Aus dem neuen Beschluss des 12. Zivilsenats vom 8. 6. 2005 ergibt sich, dass er die Fortführung einer künstlichen Ernährung bei einem langjährigen Wachkomapatienten für rechtswidrig ansieht, wenn der Patient, vertreten durch seinen Betreuer, deren Beendigung in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt wünscht.

Die von der Enquetekommission des Bundestages gewollte Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen würde deren praktische Bedeutung insbesondere gerade für den Fall des Wachkomas und der Demenz minimieren, um nicht zu sagen, aufheben. Dann könnte man auf dieses Rechtsinstitut auch ganz verzichten, denn lebenserhaltende Maßnahmen nach Beginn des Sterbeprozesses werden auch nach heute wohl herrschende Auffassung der Ärzte schon medizinisch nicht mehr indiziert sein, wenn sie den Sterbevorgang nur verlängern. Deswegen brauche ich dafür, für dieses Unterlassen nach Beginn des Sterbeprozesses weder eine Patientenverfügung noch einen mutmaßlichen Willen.

Ich frage: soll der Patient trotz entgegenstehende Patientenverfügung erst dann sterben dürfen, wenn sicher ist, dass die irreversibele Erkrankung schon einen tödlichen Verlauf angenommen hat? Was soll in den häufigen Zweifelsfällen gelten, in denen der Arzt nicht ausschließen kann, dass eine weitere kurative Behandlung doch noch den tödlichen Verlauf aufhalten kann? Bliebe, wie von der Enquetekommission vorgeschlagen, Raum für die Anwendung einer behandlungsbegrenzenden Patientenverfügung nur, wenn das Grundleiden trotz medizinische Behandlung zum Tode führt, dann könnte der lebensmüde, hoch betagte Mensch, der an mehreren schweren Erkrankungen oder an einem multiplen Organversagen leidet, von denen jedes Symptom für sich genommen noch kurativ behandelbar erscheint, nicht mehr rechtswirksam verfügen, bei einem Notfall nicht in ein Krankenhaus eingeliefert oder nicht wiederbelebt werden zu wollen.

Unsere Arbeitsgruppe meinte, einen solchen Lebenszwang wollten wir von Gesetzeswege jedenfalls nicht vorschreiben.

Zur Einschaltung des Vormundschaftsgerichts vertritt unsere Gruppe folgende Auffassung: die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers in lebenserhaltende Maßnahmen soll grundsätzlich der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedürfen, es sei denn, dass der Betreuer und der Arzt und das Behandlungsteam – das ist uns auch wichtig, nicht immer nur vom Arzt zu reden, sondern den Arzt und das Behandlungsteam - einvernehmen darüber erzielt haben, dass die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

Dieses Einvernehmen ist zu dokumentieren. Nächste Angehörige oder Bezugspersonen sollten vor dieser Entscheidung gehört werden. Unberührt bleibt davon allerdings, auch wenn wir in diesen Fällen das Vormundschaftsgericht ausschalten - anders als die Enquetekommission, die auch bei übereinstimmenden Willen aller Beteiligten zur Kontrolle, sicherheitshalber sozusagen, doch noch das Vormundschaftsgericht eingeschaltet wissen will -, Aufgabe des Vormundschaftsgerichts ist es, wenn Indizien an es auch in einem solchen Fall herangetragen werden, das zu überprüfen. Jederman aus dem Pflegeteam oder auch aus der Allgemeinheit hat das Recht das Vormundschaftsgericht zur Kontrolle solcher Entscheidungen anzurufen.

Das, was unsere Kommission auch noch von anderen Berichten unterscheidet, ist der Umstand, dass wir der Vertrauensperson des Kranken eine Sonderstellung einräumen wollen, eine Sonderstellung gegenüber dem amtlich bestellten Betreuer, der ja von einem staatlichen Organ bestellt worden ist und deswegen trägt der Staat auch dafür die Verantwortung, dass dieser von ihm bestellte Betreuer entsprechend den Wünschen des Patienten handelt und dabei den Lebensschutz nicht vernachlässigt. Deswegen muss der Betreuer staatlich streng kontrolliert werden.

Anders sehen wir es bei den Bevollmächtigten, weil wir sagen: der Bevollmächtigter, der von dem Kranken als seine Vertrauensperson ausgewählt worden ist und der schriftlich auch zu solchen Entscheidungen, die sein Sterben betreffen, ermächtigt worden ist soll letztlich ohne gerichtliche Kontrolle entscheiden dürfen, was - wie gesagt - nicht ausschließt, dass auch der Arzt sagt: das ist ja völlig unvernünftig, was der Bevollmächtigte will und wendet sich an das Vormundschaftsgericht, das zur Kontrolle auch des Bevollmächtigten einschreiten kann. Das ist selbstverständlich.

Wir haben dann zwei Paragraphen im BGB vorgeschlagen über Patientenverfügungen und über Einschaltung des Vormundschaftsgerichts und wir haben auch eine Ergänzung des Paragraphen 216 des Strafgesetzbuches vorgeschlagen durch die klar gestellt werden soll, das nicht strafbar sind, medizinisch indizierte Leid mindernden Maßnahmen, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzen, sowie das Unterlassen oder Beenden einer lebenserhaltende medizinischen Maßnahme, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Darüber, ob eine strafrechtliche Ergänzung erforderlich ist, wird der Juristentag im September dieses Jahres in Stuttgart extra eine große Diskussion vorbereitet durch Gutachten und Stellungnahmen, von denen eine ich ausarbeiten darf, diskutieren.

Nicht einigen konnte sich unsere Arbeitsgruppe darüber, ob auch eine Ergänzung der Strafvorschrift über die unterlassene Hilfeleistung vorgeschlagen werden sollte, um sicher zu stellen, dass nicht bestraft wird, wer einen Suizid nicht verhindert, den ein Patient nach ernsthafter Überlegung zur Beendigung schweren Leidens begehen will. Bisher sagt ja unsere noch gültige Rechsprechung: jeder Suizid, egal ob frei verantwortlich oder nicht, ist ein zur Hilfeleistung pflichtender Unglücksfall und deswegen wird ja diskutiert, diese Rechtsprechung durch eine Gesetzesänderung einzuschränken. Wie gesagt, das ist nicht unser Vorschlag, wir haben lediglich die These beschlossen, ein Arzt ist gehalten, einen Suizid im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verhindern. Entschließt sich ein Patient, trotz aller ärztlichen Bemühungen, nach frei verantwortlicher Überlegung, dazu sein Leben selbst zu beenden, so soll keine ärztliche Verpflichtung bestehen, gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen lebenserhaltend einzugreifen.

Mit Nachdruck haben wir uns für die Beibehaltung der Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen und wir meinten auch in Ausnahmefällen soll die Tötung des Patienten auf dessen Wunsch nicht toleriert werden, denn, wenn der Sterbenskranke seine Lage als unerträglich, trotz aller palliativen Maßnahmen, ansieht, dann meinen wir, sei es zulässig, in der Terminalphase, ein gezielte Dämpfung oder Ausschaltung des Bewußtseins durch nicht-lebensverkürzende Sedierung zuzulassen. Uns war klar, dass die von uns vertretenden Positionen der weiteren Diskussion, der Überprüfung und auch der Fortentwicklung bedürfen, um einen allgemeinen konsensfähigen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Prinzipien liberaler Selbstbestimmung des Bürgers, sowie staatlicher, ärztlicher und pflegerischer Fürsorge zu erzielen.

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Musik
Chanson: Edith Piaf
Länge 02:17
Je ne regret rien! (Ich bereue nichts! Edith Piafs vielleicht bekanntester Chanson)
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Rede Kristiane Weber-Hassemer
Rede: Kristiane Weber-Hassemer
Länge 16:22
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Nun die Rede von Kristiane Weber-Hassemer, Vorsitzende des Nationalen Ethikrates und Richterin an einem Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt-Main:

Ich vertrete also den Nationalen Ethik Rat. Der Nationale Ethik Rat existiert seit 2001. Er ist von der Bundesregierung damals eingesetzt worden. Wir sind völlig unabhängig, also an keinerlei Aufgabenstellung durch irgendeine politische Instanz gebunden. Wir sind sozusagen nicht einer bestimmten Partei oder einer bestimmten politischen Aufgabe zugeordnet.

Wir haben uns, angesichts des Umstandes, dass in der juristischen Diskussion, also zwischen den Strafsenaten und zwischen den Zivilsenaten des BGHs, immer wieder Unstimmigkeiten darüber existieren, was nun eigentlich wirklich der Inhalt und die Reichweite an der Patientenverfügung sein kann, entschlossen, speziell zu der Patientenverfügung ein Papier herauszugeben – das ist veröffentlicht worden. Das ist zu einem Zeitpunkt veröffentlicht worden, als das Justizministerium seinerseits den einen Entwurf präsentiert hat und ungefähr zeitgleich mit dem der sog. „Kutzer Arbeitsgruppe“.
Nur ein kleiner Hinweis: es gibt in dem „Konzert“ der Papiere noch ein weiteres Papier: das Papier ist der sog. „Alternativentwurf“. Es gibt seit vielen, vielen Jahren einen Zusammenschluß von Professoren aus dem strafrechtlichen Bereich – die sind Schweizer, Österreicher und Deutsche und die hatten schon ein mal ein Papier in den 80’er Jahren vorgelegt und jetzt ganz neu in diesem Sommer haben sie einen neuen Alternativentwurf vorgelegt, speziell zu den Tötungsdelikten in diesem medizinischen Bereich und auch sie versuchen weg zu kommen von diesen alten Begriffen, und versuchen, dem Handlungsaspekt des Arztes, des Pflegepersonals sachgerechter angepaßten Zugang zu finden, zu erlaubten und nicht-erlaubten Fragen, und dort Abgrenzungen zu finden. Das ist in Goldhammers Archiv erschienen, also jetzt im Sommer, wer sich das mal ansehen will.

Was dieser Alternative gemeinsam ist, wie auch dem Entwurf des Hospitz Stiftung, wie auch dem Kutzer Papier, das deckt sich mit der Vorstellung des Ethikrates. Ich denke, wir unterscheiden uns in einem Punkt ganz fundamental, wir alle anderen gegenüber der Enquetekommission: Wenn man akzeptiert, dass wir in einer vom Verfassungsrecht, unserem Grundgesetz, vorstrukturierten Gesellschaft leben, dann müssen wir vom Selbstbestimmungsrecht, jetzt nicht philosophisch definieren, sondern von dem, was das Grundgesetz meint, vom Selbstbestimmungsrecht ausgehen. Dann hat der Mensch über seinen eigenen Körper Verfügung und dann ist sozusagen vom Grundsatz her nicht zu vertreten a) dass er nicht auch für sich auch für die Zukunft festlegen kann, was mit ihm geschehen soll und b) ist es sehr schwer zu vertreten, warum das nur in der letzten letalen Phase gelten soll und nicht davor.

Das ist jetzt der Grundsatz und von diesem Grundsatz aus geht der Nationalen Ethikrat aus und sagt: grundsätzlich muß es möglich sein, über sich selbst Bestimmungen zu treffen, die auch für die Zeit gelten soll, in dem er nicht mehr über sich selbst sozusagen kompetent verfügen kann.

Das Problem, was wir alle haben, was bei uns ganz breiten Raum genommen hat, die Diskussion darüber, war: wenn der Mensch hinterher nicht mehr artikulationsfähig ist und nicht mehr einsichtsfähig ist, wie kann man dann erkennen, ob es noch seinen Willen entspricht, oder ob er inzwischen einen anderen Willen hat? Das ist die eine Frage und die andere Frage ist: wie muß er das artikulieren, wenn sozusagen eine Willensänderung kommt und die ganz entscheidende Frage ist: kann ein Mensch vorab sich hineinversetzen in ein Krankheitsbild, das er noch gar nicht hat und nicht kennt.

Die Mediziner bei uns sind da natürlich etwas anders gepolt, als die Juristen. Wir versuchen, das Dilemma zu lösen, in dem wir sagen: grundsätzlich muß jemand für jeder Phase seines Lebens, auch für die Demenz, auch für das Koma, vorab Entscheidungen treffen können. Aber die Anforderungen, das in die Befolgung dieses einmal festgelegten Willens, die müssen besonders überprüft werden. Da muß besonders klar gefragt werden: Hat es eine fachkundige Beratung vorab gegeben, ist der Mensch wirklich vetraut gemacht worden mit seinem möglichen späteren Zustand? Ist er sozusagen in Kenntnis dessen, dass es sich sehr stark verändern kann? Das hat folgende Konsequenz: wir haben grundsätzlich gesagt: keine zwingende fachkundige Beratung vorab - wünschenswert, ja aber nicht zwingend. Aber in diesen Fällen, wenn man eine Verfügung trifft speziell über die Demenz und das Wachkoma, also keine Phase - die kann ja theoretisch 10 Jahre dauern – keine Phase, wo man sagen kann: jetzt geht es unmittelbar in dem irreversiblen, tödlichen Verlauf, da haben wir gesagt: da muß eine intensive Beratung vorab stattgefunden haben, die muß auch schriftlich niedergelegt sein und es muß auch genau festgelegt werden, unter welchen Umständen ein möglicher Widerruf dieser Erklärung dem Patienten noch möglich ist, d.h. der Mensch, der Verfügende, muß vorher gesagt haben: die und die und die Anzeichen, die normalerweise unter Medizinern als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Mensch trotz Demenz vielleicht doch leben kann und ganz zufrieden ist, da muß er auch das vorher als möglichen Widerruf ausgeschlossen haben. Das klingt jetzt im Augenblick drei Mal verdreht und dann nochmals verdreht, aber wir wollten einfach sicher gehen, dass Menschen hier nicht leichtfertig in eine Situation hineingeraten, wo dann hinterher Angehörige oder Ärzte sagen: Das kann der doch nicht gemeint haben! Der muß doch davon wieder herunter kommen können. Also da schrauben wir die Anforderungen besonders hoch.

Wir haben grundsätzlich sonst gesagt, im Gegensatz zur Kutzer Kommission, Schriftform: ja, wenn keine schriftliche Äußerung vorliegt, dann ist das natürlich nicht ein Nichts – auch eine mündliche Patientenverfügung bindet normalerweise einen Arzt. Wenn ich ihm heute sage: ich will morgen nicht mehr, dass Sie das und das machen, dann ist das natürlich bindend, aber diese Patientenverfügungen sind ja für die Zeit nach der Zeit, wo man selbst noch artikulieren kann, wo man es noch sagen kann, und da sagten wir aus Gründen der Beweisbarkeit – auch Ärzte und Pfleger müssen ja irgendwo abgesichert sein, sie müssen ja irgendwo wissen können, was war denn nun – muß es schriftlich sein.
War es mündlich, dann spielt es eine Rolle für die Erkundung des mutmaßlichen Willens. Der mutmaßliche Wille spielt ja immer eine Rolle – wenn eine Situation dann kommt, kann es passieren, dass sie nicht genau paßt und dann geht’s an die Ermittlung des mutmaßlichen Willens, weil man nicht genau weiß, war es der aktuelle Wille. Den mutmaßlichen Willen kann man aus unserer Sicht nicht so kategorial erfassen. Die Juristen sind das gewohnt und Herr Kutzer und ich haben es natürlich viele, viele Jahre unseres Lebens gemacht, die Zivilrichter noch viel mehr. Der mutmaßliche Wille kann nicht auf bestimmte Kriterien festgelegt werden, sondern man muß alles befragen. Man muß alles befragen, was alles Teil des mutmaßlichen Willen sein kann. Und da gibt es keinen abschließenden Katalog, aus unsere Sicht.

Wir sind – ähnlich, wie die Kutzer Kommission – der Auffassung, dass das Betreuungsrecht in diesem Zusammenhang reformiert werden muß. Wir haben lange überlegt, welche Rolle kommt dem Betreuer zu und welche aber dem Bevollmächtigten – und in soweit, Herr Kutzer, irrten Sie –, nicht nur Sie, sondern auch wir haben uns ganz speziell um die Bevollmächtigten Gedanken gemacht und haben auch deutlich gesagt, das Recht des Betreuers und das Recht des Bevollmächtigten sollte verschieden geregelt werden.

Es geht ja immer um die Frage: bisher ist es klar, bisher hat der Betreuer das Wohl des Patienten durchzusetzen. Das kann dem aktuellen Willen des Betreuten widersprechen. Es wird immer das schöne Beispiel gebracht im jetzigen Betreuungsrecht: wenn doch der Betreute saufen will und der Betreuer sagt: das ist aber nicht gut für Dich. Aber hier haben wir natürlich gravierendere Probleme, das Wohl des Patienten: wer definiert das und aus welcher Sicht kann das sozusagen erkannt werden, was ist das Wohl?

Klar ist, dass wir uns danach richten müssen. Zunächst einmal: was ist der mutmaßliche Wille, dessen der verfügt hat? Auch wir sind der Auffassung, dass insofern, wie das Kutzer-Papier, wenn eine Patientenverfügung vorliegt und wenn sie deutlich eine bestimmte Situation beschreibt, dann ist die maßgebend und dann hat der Betreuer sie durchzusetzen. Dann ist für die Frage des Wohls kein Raum. Das unterscheidet – aus unserer Sicht – eine Novellierung des Betreuungsrechts vom derzeitigen Recht. Das derzeitige Recht hat diese Problematik nicht erfasst und für die Frage des Wohls des Patienten ist erst dann Raum, wenn wir keine genaue, präzise Patientenverfügung für den Fall haben und dann muß der Betreuer erstmal versuchen, den mutmaßlichen Willen zu finden. Kann er den auch nicht finden, dann muß er sozusagen auf’s Wohl zurückgreifen.

In dieser ganzen Kontoverse zwischen dem Strafsenat und dem Zivilsenat [des BGH] zu diesen Fragen hieß es dann beim Strafsenat damals, man sollte auf die „allgemeine Wertung“ zurückgehen, wenn man nichts finde. Da sind wir sehr skeptisch, da denken wir eher, was heißt „allgemeine Wertung“ und wer transportiert die denn, wer entscheidet denn darüber“? Sondern da würden wir sagen, wenn wir keine genaue Patientenverfügung haben und keinen mutmaßlichen Willen ermitteln können, dann soll der Betreuer im Sinne des Wohls des Patienten entscheiden.

Der Bevollmächtigte, der muß aus unserer Sicht einen größeren Entscheidungsspielraum haben. Auch er hat zunächst, liegt im Innenverhältnis eine eindeutige Einweisung des Patienten vor, dann hat er die zu berücksichtigen. Liegt sie nicht vor, dann hat er sozusagen einen breiteren Spielraum, wie entschieden wird, was gemacht wird. Das hat vor allem in einer Hinsicht Konsequenzen: Sie können eine Vollmacht erteilen, die so weitgehend ist, dass Sie sagen: der wird schon wissen, was für mich das Richtige ist. Denken Sie an Ehepaare, die vertraut miteinander sind oder Eltern-Kind Beziehungen, die vertraut miteinander sind, wo jemand sagt: ich kann das gar nicht so genau festlegen, aber mein Sohn oder meine Tochter oder mein Mann oder meine Frau, die wissen, was ich denke. Das geht natürlich nur in Beziehungen, wo tatsächlich auch über diese Dinge geredet worden ist. Eine solche weitgehende Vollmacht wird jemand nur geben, wenn er das tiefe Gefühl hat, der andere wird in meinem Sinne für mich handeln. Und diesem Bevollmächtigten wollen wir dann auch einen größeren Freiraum geben.

Eins ist klar: immer wenn der Verdacht von Mißbrauch, also Mißbrauch des Betreuungsstatuses oder Mißbrauch des Vollmachtstatuses– kann jeder das Vormundschaftsgericht anrufen – aber wir sind genauso, wie die Kommission Kutzer der Auffassung: grundsätzlich muß der Betreuer im Konfliktfall zwischen ihm und dem Pflegepersonal oder dem Arzt, muß er zum Vormundschaftsgericht. Wohin gegen wir sagen, falls nicht Anzeichen von einem Mißbrauch vorliegen, dann braucht der Bevollmächtigte nicht zum Vormundschaftsgericht d.h. auch wir schränken die Aufgaben des Vormundschaftsgerichts ein, nicht etwa, weil wir meinen, die Vormundschaftsrichter seien sozusagen nicht kapabel, sondern, weil wir meinen, das sind so höchstpersönliche Dinge: das Verhältnis zum Sterben, das viele sehr viel genauer wissen, was sozusagen unter dem Angehörigen, mit dem Arzt, sie haben viel mehr zu diesen Dingen Wissen entwickeln können, als der Vormundschaftsrichter, der keinen kennt. Der kann versuchen, sozusagen als letzter Aufhänger, wenn es wirklich bei allem hakt, dann wird er als neutrale Instanz bemüht, aber nur unter diesen Voraussetzungen. Wir wollen ihn nicht für alles und jedes einschalten.

Ich möchte noch eine kleine Bemerkung machen zu dem Ausführung von Herrn Mieth der sehr verantwortungsbewußt sind und die sicher versuchen, in diesem schwierigen Abstimmungsprozess zwischen Selbstbestimmung und Solidarität und Schutz einen Weg zu finden. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass der Ethikrat in dieser Hinsicht durchaus auch Mitglieder hat, die der Position von der Enquetekommission in der Mehrheit zuneigen – die haben wir auch, aber wir haben nicht viele von ihnen in diesem Zusammenhang, von der Prämisse ausgehend, dass grundsätzlich der Mensch in unserer Gesellschaft erstmals über sich selbst verfügen kann.

Ich neige nur zu der Annahme, Herr Mieth, dass bei Ihnen mehrheitlich die Problematik, in welcher Situation ist eigentlich nicht der Patient, sondern der Arzt, also wo handelt er, wo verwischt er unter Umständen das Töten, in dem er die Sonde zieht oder den Stecker zieht, wo vermischt er da soetwas hin zu aktiven Sterbehilfe, im Vordergrund stand. Da meinen wir, das ist nicht der richtige Weg, an der Stelle dem Patienten die Selbstbestimmung wegnehmen zu können, sondern das meinen wir müssen wir über andere Regeln, sozusagen im strafrechtlichen Bereich, regeln, dass wir genauer hingucken, vollstreckt ein Arzt eigentlich den legitimen Wunsche eines Patienten, dann ist es egal, ob er sozusagen den Stecker drückt oder zieht, es ist sozusagen der Wille des Patienten, der im Zustand der Artikulationsfähigkeit ja ohne weiteres sagen kann: „Mich beatmest Du nicht mehr weiter.“ Da denken wir, wir müssen den Handlungsbegriff des Arztes, den müssen wir noch mal genauer beschreiben. Aber unter dem Aspekt der Patientenverfügung, d.h. dass ein Mensch über sein eigenes Leben und über seine Zukunft verfügen möchte, meinen wir, ist das die Ebene, dass man auf ihn guckt. Er ist aber der Entscheidende und er muß so weit er einigermaßen klar sein Wollen artikulieren kann, so weit meinen wir, muß Arzt, Betreuer, Pflegepersonal an diesen Willen gebunden sein, er kann nicht sozusagen diesen Willen übergehen, in der Meinung, es ist besser für ihn.

Nochmals ganz klar: in den Grenzen des Wissbaren. Wir haben keine weitergehenden Dokumentations Pflichten ausgedacht, als die bei Demenz und Wachkoma. Grundsätzlich sind wir die Auffassung, man muß auch den Menschen in unserer durch unserer Verfassung strukturierten Welt nachkommen, die für sich mehr Autonomie verlangen, als vielleicht viele andere. Es wird Menschen geben, die dankbar sind, wenn kluge Ärzte und Angehörige ihnen die Entscheidung abnehmen und sagen: ich will gar keine Patientenverfügung, ich leg mich auch gar nicht fest, ich will einfach sehen, dass es Mensche gibt, die am Ende meines Lebens sozusagen für mich schon das richtige tun. Aber es gibt eben auch noch andere Menschen. Es gibt eben Menschen, die sagen: „Ich möchte autonom auch bis zu meinem Ende hin mein Leben gestalten“ und auch diese Menschen sind in unserer Verfassung geschützt und deswegen können wir sozusagen vom verfassungswegen uns nicht darauf einlassen, das wir nur für eine bestimmte Phase Patientenverfügungen zur Geltung kommen lassen wollen.

Danke!

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Bonmot von Prof. Klaus Dörner
Bonmot: Prof. Klaus Dörner
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Das Bonmot ist ein Zitat aus der Rede von Prof. Klaus Dörner anläßlich der Fachtagung "Patientenverfügung" am 21.1.2006 im Deutschen Hygiene Museum in Dresden.
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Ausnehmen davon, von dieser Skepsis gegenüber der Patientenverfügung, möchte ich gerne etwas, wo ich glaube, ich dann auch mit Herrn Kutzer, dem von mir seit vielen Jahren so heiß und innig geliebten Herrn Kutzer, in vielen Streitigkeiten bewährt, ausdrücklich sagen, das wo sie immer so stark den Finger drauf legen, die Gesundheitsvollmacht, also die Vorsorgevollmacht, ist eigentlich dasjenige an diesem ganzen Komplex, was wichtiger ist, als die Patientenverfügung. Man sollte die beiden Dinge stärker voneinander trennen, mit der Patientenverfügung vorsichtig umgehen, aber die Gesundheitsvollmacht, die Bevollmächtigung, mit allen Kräften fördern, so gut man das kann, weil damit dient man gleichzeitig auch wieder dem ja empirisch bewiesenen Bedürfnis der Bürger, dass ihr Sterben bitte gesprächsweise eingebettet sein soll.
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