Und nun zum zweiten Thema:
Wie das Rezepturteil mal wieder
gescheitert ist!
Mit großer Freude berichtete die
Irren-Offensive, dass es
zumindest ein Gericht gibt, das bei vormundschaftsgerichtlichen
Beschlüssen
rechtsstaatskonform entscheidet: das Oberlandesgericht (OLG) Celle. Erst
seine
Entscheidungen vom 28.6. und 10.7.2007 haben die staatlichen
Terrormaßnahmen im
Landgerichtsbezirk Hannover aufgedeckt und zumindest in diesem Fall
auch
Einhalt geboten.
In beispiellos zu nennender Weise wurde vom LG
Hannover eine
sofortige Beschwerde vom 14.11.2006 bzw. 8.2.2007 gegen eine von einem
unteren
Gericht rechtswidrig genehmigte schwere Grundrechtsverletzung durch
psychiatrische Zwangsbehandlung nicht entsprechend der Schwere der
Grundrechtsverletzung
sofort entschieden, sondern sage und schreibe über 7 bzw. 4 Monate
später erst
am 11. Juni - zugestellt am 22. Juni.
Die Hoffnung des Gerichts: Weil durch die
Unterstützung der
Irren-Ofensive ein im Betreungsrecht erfahrener Anwalt der
Verfahrensbevollmächtigte
geworden war, sollten die Folterbehandlungen der Wunstorfer "Klinik"
die Betroffene so weit zerstören, bis sie ihre Rechte nicht mehr
wahrnehmen
wolle. Diese heimtückische Verzögerungstaktik konnte
allerdings dann nicht mehr
fortgesetzt werden, als der Anwalt dem Gericht zu verstehen gab, dass
er eine
weitere Verzögerung der Entscheidung nicht mehr hinnehmen
würde. Entsprechend
reichte er am 21.7. eine Untätigkeitsklage beim OLG Celle ein -
erst darauf
wird der noch mal 10 Tage zurück gehaltene Beschluß des LG
Hannover sofort
abgeschickt und am 22.7. zugestellt.
Das OLG Celle hat aber mit seiner
Kostenentscheidung
klargestellt, dass das Land Niedersachsen mit der Beschäftigung
solcher Richter
am LG Hannover für diesen Rechtsbruch verantwortlich ist!
Dazu haben wir vor der Sendung ein Interview mit
der
Pressesprecherin
des OLG Celle, Frau Dr. Springer, geführt:
René Talbot [RT]:
Können Sie uns bitte noch einmal kurz die
beiden Entscheidungen des OLG Celle zur Zwangsbehandlung, die diesen
Sommer
gefallen sind, erläutern?
Dr.
Stephanie Springer [StSp]:
Ja, das mache ich gerne. Ich fange mit der
kürzeren Entscheidung an. In dem Beschluss vom 28. Juni 2007 ging
es um die
Frage einer möglichen Untätigkeit des Beschwerdegerichts. Die Betroffene hatte am 8. Februar 2007 in
einem Verfahren über die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung
für eine
Zwangsbehandlung Beschwerde eingelegt. Als sie bis Ende Juni in der
Sache noch
keine Nachricht vom Landgericht Hannover erhalten hatte, legte sie
Untätigkeitsbeschwerde beim OLG Celle ein.
Weil
sich diese Beschwerde mit dem
zwischenzeitlich ergangenen Beschluss des Landgerichts, der der
Betroffenen
noch nicht zugestellt worden war, überschnitten hatte, konnte das
OLG Celle
offiziell nur noch die Erledigung der Hauptsache feststellen. Indirekt
kam man
aber aus der Entscheidung ablesen, wie das Oberlandesgericht in der
Sache
entschieden hätte: Die Tatsache, daß die Kosten der
Staatskasse auferlegt
worden sind, lässt darauf schließen, dass die Betroffene mit
ihrer
Untätigkeitsbeschwerde Erfolg gehabt hätte. Im Ergebnis kann
man damit sagen,
dass der Familiensenat des OLG jedenfalls eine Frist von
viereinhalb Monaten bei einer Entscheidung
über eine Zwangsbehandlung als zu lang ansieht.
Die
zweite Entscheidung ist sehr komplex,
daher möchte ich nur die wesentlichen
Punkten hervorheben. Auch der zweite Beschluß vom 10. Juni 2007
beschäftigt
sich mit der Zulässigkeit von Zwangsbehandlung. Neu sind an der
Entscheidung
die Ausführungen des Familiensenats zur Frage des Umfangs und der
Grundlage der
Verhältismäßigkeitsprüfung. Wenn es um die Frage
der Rechtmäßigkeit einer
Zwangsbehandlung geht – im vorliegenden Fall einer medikamentösen
Behandlung –,
dann muß das Gericht im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung den Schaden, der
ohne die beabsichtigte Behandlung eintreten könnte, mit demjenigen
abwägen,
der bei Durchführung der
Zwangsbehandlung entstehen könnte. In diesem Rahmen müssen
alle psychischen
Auswirkungen der beabsichtigten Zwangsbehandlung berücksichtigt
werden und
genauso die möglichen gesundheitlichen Gefahren. Im vorliegenden
Fall hat das
OLG entschieden, das die Vorinstanz nicht richtig abgewogen hat, weil
keine
hinreichende Tatsachenaufklärung vorgenommen worden sei. Das
Gericht hatte sich
bei seiner Entscheidung auf ein Sachverständigengutachten
gestützt, das von
einem - geschätzten - Arzt aus demselben Landeskrankenhaus, in dem
sich die
Betroffene befunden hat, gefertigt worden war. Hier hat der
Familiensenat des
OLG entschieden – und das ist das eigentlich Neue an der Sache –,
daß im
Zusammenhang mit einer Zwangsbehandlung
unbedingt ein “Blick von Außen” stattfinden muß. Das
bedeutet, dass ein
externer Sachverständiger umfassend prüfen muss, wie der
Behandlungverlauf in
der Vergangenheit war, wie die Medikation vorgenommen wurde, ob sie
erfolgreich
war, welche Erfahrungen im Übrigen daraus gewonnen wurden, gibt,
ob es
Alternativen zu der beabsichtigten Behandlung gibt, u.s.w. Auch wenn
ein
interner Sachverständige diese Frage alle zutreffend und umfassend
prüft –
woran vorliegend gar nicht gezweifelt wurde - reicht dies nicht aus. Der “Blick von Außen”, wie der Familiensenat
es
formuliert, muss hinzutreten. Dieser Aspekt ist das eigentlich Neue an
der
Entscheidung.
[RT]: Zwei Punkte sind interessant: Erstens, es
gab
im ersten Urteil eine Untätigkeit vorzuwerfen. Nach welchem
Zeitraum ist bei
einer Zwangsbehandlung einem Landgericht eine Untätigkeit
vorzuwerfen, wenn es
im Beschwerdefall nicht entscheidet?
[StSp]:
Das OLG
musste nicht entscheiden, ab welchem Zeitpunkt dem Beschwerdegericht
spätestens
eine unzulässige Untätigkeit vorzuwerfen ist, es musste nur
den konkreten Fall
entscheiden, d.h. ob auf jeden Fall viereinhalb Monate zu lange gewesen
ist.
Das hat es für den Fall einer Zwangsbehandlung bejaht. Die genaue
Grenze, wann
die zulässige Verfahrensdauer in eine unzulässige
Untätigkeit umschlägt, kann
man hieraus daher nicht ableiten.
[RT]: Im zweiten Urteil wurde ja auch die
Beschwerde
von der noch viel älteren Zwangsbehandlung entschieden – die war
ja schon im
Oktober 2006 eingelegt worden – wenn ich das recht verstanden habe –
und damit
war ja schon zum Zeitpunkt der Verlängerung der Zwangsbehandlung
im Februar –
war ja auch schon diese Zeit von viereinhalb Monaten eigentlich
abgelaufen.
[StSp]:
Die zweite Entscheidung umfasst insgesamt drei
Maßnahmen und drei Beschwerden der Betroffenen. Der Senat hat
alle drei
Verfahren zusammengefasst und gemeinsam entschieden. Die Frage der
Untätigkeit
des Gerichts hat sich für die Parteien in diesem Fall nicht
gestellt. Ganz davon abgesehen ist der
Sachverhalt erheblich komplexer und
umfasst mehrere
Punkte und Beschwerden, so dass man schon aus diesem Grund keinen
Vergleich zu
der ersten Entscheidung ziehen kann.
[RT]: Aber auf alle Fälle ist festzuhalten,
daß
diese Verzögerungstaktik ein schwerwiegender Mangel ist, den das
Landgericht
Hannover an den Tag gelegt hat.
[StSp]:
Nun, von einer "Taktik" im Sinne
eines absichtsvollen Hinauszögerns
kann
man sicherlich nicht sprechen und eine “Taktik” hat das OLG auch nicht
gerügt.
Es hat zumindest gesagt, daß der abgelaufene Zeitraum zu lang
gewesen ist.
[RT]: Ja, aber es ist ein schwerer
Grundrechtseingriff, der - unserer Erfahrung nach sonst, wenn man das
so
überblickt – eher in 14 Tagen oder 3 Wochen enschieden wird. Ich
denke, das ist
vielleicht ein Zeitraum, der maximal
da noch angemessen ist.
Nochmal zu der zweiten Entscheidung:
das Neue,
was Sie ja betont haben, heißt das, da es ja eine Entscheidung
des OLGs ist,
daß, wenn andere OLGe jetzt andere abweichende Entscheidungen
treffen wollten,
diese den Bundesgerichtshof anrufen müßten?
[StSp]:
Eine unbedingt Bindung an die Entscheidungen
eines anderen OLG gibt es ja nicht. Es bietet sich aber natürlich
an, diese
Frage, wenn sie streitig würde und ein anderes OLG das anders
sehen würde, dem
BGH vorzulegen.
[RT]: Ja klar, gut dann ist das die
Entscheidung,
die in die BRD flächig wirkt.
[StSp]:
Ja.
[RT]: Wollen wir das mal hoffen.
Wir wissen von der Entscheidung des
OLG Celle
im Jahr 2005, dass damals die Klinik angewiesen wurde, bis zu einer
Entscheidung des OLG Celle keine Zwangsbehandlung durchzuführen.
Wissen Sie von
Bestrebungen im Einzugsbereich des OLG Celle, bei Widersprüchen
gegen die
Zwangseinweisung generell keine Zwangsbehandlung durchzuführen?
Denn mit einer
Zwangsbehandlung erfolgt ein gravierender Grundrechtseingriff, mit dem
die
Integrität eines Menschen verletzt wird und erhebliche
Schadensersatzforderungen ausgelöst werden können.
[StSp]:
Damals war die Sache ein bißchen anders:
Das
OLG hat nicht entschieden, dass bis zu einer
Entscheidung über die Beschwerde keine Zwangsbehandlungen
durchgeführt
werden dürfen. Bei der damaligen Entscheidung ging es um die
Frage, ob es eine
gesetzliche Grundlage von Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht gibt. Das
OLG
Celle hat die Entscheidung ausgesetzt und diese Frage dem BGH
vorgelegt. Dieser
hat darauf hin entschieden, dass die gesetzlichen Grundlage im
bürgerlichen
Gesetzbuch ausreichend sind. Das OLG Celle hatte also nicht
grundsätzlich
entschieden, dass stets auszusetzen ist. Es hat einen
Vorlagebeschluß gemacht
und konnte nicht in der Sache entschieden. Diese Entscheidung ist aber
durch
die BGH-Entscheidung überholt. Das OLG Celle hat sich deshalb auch
in späteren
Beschlüssen auf diese BGH-Entscheidung gestützt und im einen
oder anderen Fall
an der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung fest gehalten.
[RT]: Wobei es weiter umstritten ist. Es war ja
in
der FamRZ – sozusagen dem Flagschiff der Veröffenlichung in
familienrechtlichen
Fragen – ein großer Artikel von Prof. Narr
dagegen geschrieben worden: dem BGH
hat er in mehreren Punkten unrichtige
Ansicht bescheinigt und dem wurde nicht
widersprochen. Ich denke, ganz entschieden ist es doch noch
nícht, oder wie
sehen Sie das?
[StSp]:
Es gibt in der Lehre und Rechtsprechung sehr
häufig juristische Streitigkeiten, das ist ganz klar. Auch bei der
Frage der
gesetzlichen Grundlage von Zwangsbehandlungen gibt es weiterhin
unterschiedliche Auffassungen. Das OLG Celle kann sich aber ebenso wie
die
übrigen Gerichte auch auf die Entscheidung des BGH stützen,
wenn es dessen
Ansicht teilen. Sollte ein Gericht oder eine Partei dagegen
verfassungsrechtliche
Bedenken haben, müsste letztlich das Bundesverfassungsgericht eine
endgültige
Entscheidung treffen.
[RT]: In dem hier vorliegenden Fall ging es
erstmal
darum, daß die Sachaufklärung nicht korrekt war und deswegen
sowieso keine
Verhältnismäßigkeit gewahrt war. Somit
bestand gar keine Möglichkeit, das verfassungsrechtlich
überprüfen zu lassen,
wenn ich das richtig verstehe?
[StSp]:
Genauso ist es. Wie ich es bereits
ausgeführt
habe, muss sich das Gericht bei der Sachaufklärung, auf deren
Grundlage die
Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt, auf ein
umfassendes Gutachten eines
geeigneten Sachverständigen stützen.
Dieser Sachverständige – und
das
ist der neue Dreh – darf eben nicht ein Arzt aus dem selben
Landeskrankenhaus sein,
in dem der oder die Betroffene behandelt wird.
[StSp]:
Ich denke, es ist kein Fall von
Selbstkontraktion, weil der behandelnde und der begutachtende Arzt - so ergibt es sich schon aus dem Gesetz –
nicht dieselbe Person sein dürfen. Es geht aber noch über ein
solches Verbot
hinaus, denn entscheidend ist, dass der Gutachter ein Externer ist. Man
kann,
denke ich, nicht pauschal sagen, dass ein Arzt aus einer anderen
Abteilung
verpflichtet ist oder sich verpflichtet fühlt, seinen behandelnden
Kollegen zu
stützen. Aber um jedem Verdacht zu begegnen und um diesen “Blick
von Außen” zu
gewährleisten, fordert der Familiensenat im Interesse des
Betroffenen einen
außenstehenden Sachverständigen.
[RT]: Wobei, die Bezahlung, wenn sie vom
gleichen
Träger kommt, schon aus der selben Quelle fleißt.
Gut, Frau Dr. Springer, dann bedanke
ich mich ganz herzlich für das Gespräch.
Verantwortlich ist also das Landgericht Hannover.
Aber auf wessen Wunsch hat es diese grausamen Entscheidungen getroffen:
der
dafür gerichtlich installierten Zwangs-"Betreuerin" in engster
Kooperation mit dem Folterzentrum Wunstorf.
Das Martyrium der Betroffenen:
Seit dem 22. Oktober 2005 wurde die Betroffene durchgehend im
Folterzentrum
Wunstorf - irreführend als "Landeskrankenhaus" bezeichnet -
gefangen
gehalten. Erst am 24.7.2007 wird sie freigelassen. Das OLG Celle hat
die Bedeutung
der begangenen Rechtswidrigkeiten schnell erkannt und mit sofortiger
Wirkung
die seit 2005 andauernde Folterbehandlung beendet.
Selten hat ein Folteropfer, das so lange extrem schweren
bewußtseinsverändernden Drogen ausgesetzt war wie die
Betroffene, so eine
schwere Mißhandlung ungebrochen überlebt und nicht dazu
zwingen lassen, sich
dem Willen seiner Folterer zu unterwerfen.
Dass im Landgerichtsbezirk Hannover noch andere
Folterzentren betrieben werden, zeigen übrigens die Presseberichte
dieses Sommers
über das Folterzentrum Wahrendorff: "Stationsleiter misshandelt
Patienten" berichte die tageszeitung am 31.7.2007; Zitat daraus: "..."Halts
Maul", pflaumt der Stationsleiter den Patienten an. Als der Mann nicht
reagiert, sprüht er ihm Pflegeschaum - eigentlich zur Reinigung
des
Genitalbereichs gedacht - in den Mund...."