Dass der aktuelle Wille tatsächlich Beachtung finden soll, haben dann
allerdings die folgenden Reden von Justizministerin Zypries der Abgeordneten
der Linkspartei Jochimsen und Olaf Scholz von der SPD deutlich gemacht, die
alle eine Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung befürworteten.
Damit haben sie sich dazu bekannt, dass der Wille, der in einer schriftlichen
Patientenverfügung niedergelegt ist, auch dann aktuell befolgt werden soll,
wenn Ärzte meinen, die Person für "geisteskrank" erklären
zu können und ihre Willensäußerungen, bzw. Unmutsäußerungen
über die medizinische Mißhandlung, nicht zu beachten sei. Zunächst
also ein Ausschnitt aus der Reder von Justizministerin Zypries:
Ich meine, es muss darum gehen, den Menschen diese Angst zu nehmen und ihnen
die Gewissheit zu geben, dass ihr Selbstbestimmungsrecht auch in denjenigen
Situationen gilt, in denen sie sich nicht mehr äußern können.
Wir sind uns einig: Solange man reden kann, solange man durch Gesten bedeuten
kann, was man will, so lange darf niemand gegen seinen Willen behandelt werden.
Das ist Konsens hier im Haus. So viel ist klar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es folgt ein Ausschnitt aus der Rede von Frau Jochimsen:
Die Verfügung soll jederzeit veränderbar sein, den Phasen des
individuellen Lebens angepasst. Sie sollte auch das wäre die fünfte
Forderung für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes verändert
werden können. Es darf keine Zwangsbehandlung geben, auch nicht bei Personen,
die nicht einwilligungsfähig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES
90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Olaf Scholz von der SPD Fraktion:
Sehr oft in unserem täglichen Leben etwa wenn wir etwas unterschreiben
drücken wir unseren Willen aus und sind auch völlig damit einverstanden,
dass wir hinterher daran gebunden sind. Insofern ist es aus meiner Sicht Sophismus,
eine solche Unterscheidung vorzunehmen, um sich als Gesetzgeber das Recht zu
erschaffen, in dem Fall, in dem der Mensch ganz hilflos und bewusstlos ist,
über ihn zu verfügen, obwohl er genau das mit seiner Patientenverfügung
ausschließen wollte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Als ein Argument werden die Schwierigkeiten bei der Feststellung des Willens genannt. Rechtssoziologen sagen uns, dass der Interpret, der Bevollmächtige, das Gericht oder wer auch immer sich damit beschäftigt, sich selbst als Person bei der Auslegung einbringt. Das wissen wir. Sogar wenn uns etwas ganz klar erscheint, spielt die Auslegung bei der Ermittlung des Sachverhalts ein Rolle. Trotzdem trauen wir uns das zu und halten es für möglich. Das müssen wir auch. Denn wenn wir uns nicht vorstellen könnten, dass wir uns auf die Auslegung eines Willens verständigen können, dann könnten wir gar nicht vernünftig zusammenleben. Deshalb ist es notwendig, dass wir so eine Entscheidung akzeptieren.
Der Verweis darauf, dass man sich bei der Auslegung irren kann, rechtfertigt
eine Ablehnung dennoch nicht; denn das ist eigentlich nur ein Hinweis darauf,
dass wir uns unglaublich viel Mühe geben müssen. Selbstverständlich,
wenn ein 20 Jahre alter Patientenwille vorliegt, dann muss sich derjenige, der
darüber zu entscheiden hat, große Mühe geben, um herauszufinden,
ob das wirklich noch der aktuelle Wille ist.
(Zurufe von der CDU/CSU: So, so! Aha! So ist das also!
Aber wie?)
Das ist ganz einfach. Man kann zum Beispiel fragen, ob der Patient
seinen Willen mündlich oder auf irgendeine andere Weise widerrufen hat.
Niemand in diesem Haus hat einen Zweifel daran, dass das möglich ist. Daher
sollte man das nicht zum Anlass für die Gesetzgebung nehmen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Das gilt aus meiner Sicht das will ich ausdrücklich sagen
auch im Hinblick darauf, dass wir eine auf sorgfältige Weise getroffene
Entscheidung akzeptieren müssen. Es hat also auch dann zu gelten, wenn
ein Mensch nicht mehr einwilligungs- und geschäftsfähig ist, er aber
noch eine Willensäußerung von sich geben kann, die deutlich macht,
was er will. Auch daran gibt es keinen Zweifel. Das gilt in der Rechtsprechung,
und das gilt insgesamt.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Meine Zeit ist kurz. Gestatten Sie mir deshalb nur noch eine Bemerkung.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Na, na, Herr Kollege! Nicht übertreiben!
Renate Künast[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Redezeit!
Heiterkeit)
Ja, meine Redezeit. Schönen Dank. Es beruhigt mich, dass Sie das
klarstellen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es liegen bisher auch keine Absichten einer anderen gesetzlichen Regelung vor,
Herr Kollege Scholz.
(Heiterkeit)
Olaf Scholz (SPD): Auch das beruhigt mich.
Noch ein kurzer Hinweis: Es wird gesagt, man müsse unterscheiden zwischen
der Situation, in der jemand verfügt, so nicht sterben zu wollen, und der
Situation, in der jemand verfügt, so nicht leben zu wollen. Das ist sprachlich
schön, aber nicht das Gegensatzpaar, um das es in dieser Debatte geht.
(Elke Ferner [SPD]: Richtig!)
Denn in der Patientenverfügung verfügt man sowohl für den Fall,
dass man bald stirbt, als auch für den Fall, dass man noch lange lebt
eventuell aber ohne Bewusstsein , nur, so nicht am Leben erhalten werden
zu wollen.
Wenn man begreift, dass es sich dabei nicht um zwei unterschiedliche Zustände
handelt, sondern dass das ein und derselbe Zustand ist und dass diese Unterscheidung
künstlich herbeigeführt wird, um sich Gesetzgebungskompetenzen anzumaßen,
die man sich besser nicht anmaßen sollte, dann kommt man zum Ergebnis,
dass das Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund stehen sollte.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)