Rezension von Thomas
Szasz neuem Buch , “Coercion
As Cure”,
New Jersey 2007
Seit seiner 1961 veröffentlichten, bahnbrechenden Studie The Myth of Mental Illness, in welcher er erstmalig den Gedanken einer sozialen Konstruktion von sogenannter „Geisteskrankheit“ formulierte, hat Thomas Szasz in einer überwältigenden Fülle von Schriften die Begriffe der Psychoanalyse und Psychiatrie radikal in Frage gestellt, dekonstruiert und der Ideologiekritik unterzogen. Szasz, selbst emeritierter Professor für Psychiatrie in Syracuse im Staat New York und mittlerweile 87 Jahre alt, hat nun ein neues wichtiges Buch geschrieben, „Coercion as Cure“, Untertitel : Eine kritische Geschichte der Psychiatrie.
Ausgehend von einem positivistischen Krankheitsbegriff, ist nach dem Verständnis von Szasz der Begriff einer mentalen Krankheit schon deshalb nicht zu halten, weil er nicht objektivierbar ist. Es scheint ja so zu sein, dass Begriffe, Grundlagen und Therapiemodelle aus dem Bereich der Humanmedizin auf den psychischen Bereich übertragen wurden. Tatsächlich aber, so stellt Szasz dar, hat sich die Psychiatrie auch ganz eigene Bereiche, Prinzipien und Begrifflichkeiten geschaffen, die erkennen lassen, dass es sich hier nicht um Heilungskonzepte handelt, sondern regelmäßig darum, unerwünschtes Verhalten auszugrenzen und abzustrafen.
Dementsprechend ist der Zwang als Mittel der
„Diagnose“ und
„Behandlung“ der Psychiatrie inhärent. Dies spiegelt sich bereits
in der in der
Psychologie üblichen generellen Unterscheidung und Klassifizierung
von
psychischen Erkrankungen als wahlweise „Neurose“ oder „Psychose“: Ein
Neurotiker soll der sein, der unter seinem eigenen Verhalten leidet,
ein
Psychotiker der, dessen Verhalten von seiner Umwelt als problematisch
erlebt
wird. Diese Unterscheidung ist signifikant und zeigt Psychiatrie als
Herrschaftsreflex und Ordnungsmacht zur Kontrolle unerwünschten
Verhaltens.
Indem Verhalten medizinalisiert, als Krankheitsbild aufgefasst und
damit
objektiviert wird, kann es in den therapeutischen Rahmen gespannt
werden. Die fundamentalen
Widersprüche sowohl
zwischen den moralischen Grundlagen medizinischer Behandlung als auch
der
Einhaltung der Menschenrechte einerseits und der psychiatrischen Praxis
auf der
anderen Seite sind nur deshalb nicht offensichtlich, weil etwa ab den
fünfziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts Zwang in Form von Einsperren, und
Behandlungen
gegen den erklärten Willen der Patienten als Hilfe und
Heilbehandlung
umdefiniert wurden.
Szasz hebt darauf ab, dass der Psychiater mit seiner Berufsausübung grundsätzlich dem Prinzip widerspricht, dass der erste Grundsatz des Arztes lautet, dass man den Patienten nicht schaden dürfe. Primum non nocere! Gegen Zwangsbehandlung sollte das Gesetz schützen, doch dieses Gesetz erlaubt psychiatrische Zwangsbehandlung zum Zweck der Ausgrenzung und Eliminierung unerwünschten Verhaltens. Psychiatrie kann nicht den Anspruch erheben, Teil des Gesundheitssystem zu sein.
Wie sich dieses Paradigma jeweils historisch
ausgeprägt hat,
beschreibt Szasz in einer schonungslosen Abrechnung mit der
Zwangspsychiatrie.
Nach einem Kapitel über die therapeutische Einsperrung und die
frühe Entstehungsgeschichte
der Psychiatrie untersucht er schwerpunktmäßig die Methoden
der Psychiatrie im
20. Jahrhundert: Schlaftherapie, Elektroschock und Lobothomie. In zwei
abschließenden Kapiteln befasst er sich mit psychiatrischen und
psychodelischen
Drogen.
Für
die Dissidentenfunk-Sendung im nächsten Monat
bemühen wir uns um ein Interview mit Thomas Szasz zu seinem neuen
Buch.