Thema (Teil 2)

zum Teil 1

Als Idenditätsmerkmal der Künstler, die sich an der Bienale Meine Welt 5 beteiligen konnten, hatten die Austellungsmacher sich ausgedacht, das sie wörtlich: "anders sind". Für diese Aussage gibt es zwar zwei mögliche Bedeutungen, aber weil jeder Menschen anders als andere ist, kann diese banalste aller Banalitäten nicht gemeint sein. Es geht um eine bestimmte Gruppenbildung und es soll etwas ganz anderes zum Ausdruck gebracht werden. Dazu muß man folgendes wissen: wie Roman Breier in seiner Rede zurecht darauf hinweist, unterscheidet die Künstler der Biennale von anderen tatsächlich, daß sie rechtlich anders gestellt sind; daß sie einmal als geisteskrank verleumdet zu nahezu Rechtlosen gemacht wurden; die praktisch jederzeit, mißhandelt werden können. Sie können in einer geschlossenen Psychiatrie weggesperrt werden, dort mit Zwang und Gewalt oder Drohungen und bösem Zureden unter Drogen gesetzt, wenn nicht sogar elektrogeschockt werden. Vielen wurde darüber hinaus ihre wesentlichen Grundrechte dauerhaft aberkannt, indem sie mit einer irreführend und nur zur Täuschung genannten "Betreuung" entmündigt wurden und in einem Heim verwahrt werden.

Der Blick auf diese Entrechtung und die regelmäßige folterartige Mißhandlung soll verdeckt werden und zur Rechtfertigung wird statt dessen behauptet, diese Menschen seien anders. Dieses angebliche "Anders sein" unterstellt eine Entfremdung dieser Personen vom Menschsein, ihres ganzen Dasein, entsprechend dem psychiatrischen Okkultismus. Insbesondere ihre Biologie, sei "anders", jede ihrer Zellen ticke womöglich anders. Es wird also eine typisch rassistisch-biologistische Gattungsgrenze gezogen.

Dem Mythos Kunst und Wahn also liegt der Wunsch nach Ausgrenzung und Entrechtung und deren Rechtfertigung durch individualisierende Zuschreibung von "Geisteskrankheit, Wahnsinn, Schizophrenie" etc. zugrunde. Der ganze Diskurs dient nur dem Schutz des psychiatrischen Lügenkonstrukts. Der fatale Zug, der dabei gemacht wird, ist die Einführung der Pathologisierung in die Kunst mit verheerenden Folgen.

Dies soll nun geschichtlich darlegt werden.

Ausgangspunkt ist dabei der Dadaismus.

Die ersten Dadaisten trafen sich 1916 in Zürich, weil diese Stadt damals Zuflucht für alle bot, die dem europäischen Kriegswüten auszuweichen gedachten: Anarchisten, Nihilisten, politisch Verfolgte, Pazifisten, Deserteure und verarmte Künstler, die sich optimistisch von einem Wechsel ihres Wohnortes eine geeignete Wirkungsmöglichkeit versprachen. Gemeinsam war ihnen ihr Protest gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, ihre Moral und kulturelle Fassade. Sie erschien ihnen, in den Worten des Dadaisten Hugo Ball, als "ein wildes System, das seine Rechte verwirkt hat und keine Nachsicht verdient." Dada wollte den Anstoß zu einer kulturellen Umwertung geben. Seine Protagonisten waren, Zitat Hugo Ball: "gegen die Trompeten, die Fahnen und das Geld, mit denen immer wieder Millionen Morde auf den Feldern der Ehre veranstaltet werden." (dieses und das folgende Zitat aus: Jürgen Schilling. "Aktionskunst - Identität von Kunst und Leben ?" S. 16)
Nicht anders als ihr Nachbar Lenin, der gegenüber dem Treffpunkt der Dadaisten in der Spiegelgasse lebte und dessen Anwesenheit die Dadaisten aufmerksam registrierten, glaubten sie, daß die bestehende Weltordnung keineswegs dadurch verändert werden könne, daß man den Menschen zum Guten auffordert, sondern nur durch eine grundsätzliche Infragestellung der Welt in ihrer Existenz. Dabei verschleierte die kabarettistische, spaßhafte Form ihrer abendlichen Vorführungen zunächst den ernsthaften Hintergrund ihres Tuns. Die Dadaisten produzierten – zumindest gilt das für den literarischen Bereich – Antikunst, deren Zielsetzung darin bestand, der Kunst neue Wege zu öffnen, indem man den Rationalismus durch absurde Spektakel zu überwinden suchte. Trommel, Pfeifen und Klingeln verunsicherten das Publikum erheblich. Einen der Höhepunkte der Auftritte in Zürich bildeten Hugo Balls Vortrag seiner Lautgedichte – ein Versuch, den Irrationalismus in die Literatur einzuführen.

Wir präsentieren dazu nun Ausschnitte aus der einzig erhaltenen Originalaufnahme dieser Zeit, die "Ursonate" von Kurt Schwitters ...


zum Teil 3

Gesendet am 14.04.2005 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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